
Serie Waldgeflüster: Die Waldspitzmaus – die Maus, die gar keine Maus ist
Die Waldspitzmaus sollte man nicht unterschätzen, denn sie ist immer für eine Überraschung gut. Entgegen ihrem Namen und der Ähnlichkeit gehört sie zum Beispiel gar nicht zur Mäusefamilie, sondern zu den Insektenfressern. Und die kleine Räuberin hat so einige Tricks auf Lager, die staunen lassen. Ein Interview mit einer starken Persönlichkeit aus dem Schaaner Wald.
Du willst nichts mit Mäusen am Hut haben. Warum betonst du das immer wieder?
Weil es nervt, dass mich die Menschen immer mit einer Maus verwechseln. Ich bin mit Mäusen nicht einmal verwandt. Die Bezeichnung «Waldspitzmaus» haben mir die Menschen wohl nur gegeben, weil ich rein äusserlich betrachtet eine gewisse Ähnlichkeit habe. Ich gehöre aber zur Familie der Insektenfresser – wie der Igel und der Maulwurf. Das bedeutet, dass ich Insekten, Würmer, Schnecken und Spinnen bevorzuge, mit Vegetariern habe ich nichts am Hut. Manchmal stehen sogar junge Mäuse auf meinem Speiseplan … auch wenn das ein bisschen makaber ist. Da ich kein Nagetier bin, wachsen bei mir übrigens auch die Zähne nicht ständig nach, sondern müssen ein Leben lang halten.
Man sagt dir nach, dass du sehr verfressen bist. Stimmt das?
Das ist wahr. Wir Spitzmäuse haben praktisch immer Kohldampf, denn wir laufen ständig auf Hochtouren. 800 bis 1000 Mal pro Minute schlägt unser Herz – das benötigt eine grosse Menge an Energie. Wir essen täglich unser halbes, teils sogar dreifaches Körpergewicht. Um das zu schaffen, müssen wir alle ein bis zwei Stunden fressen, 24 Stunden lang. Langes Ausschlafen gibt es bei uns nicht. Ohne Nahrung können wir nur wenige Stunden überleben.
Und wie machst du das im Winter? Hältst du einen Winterschlaf, um das mangelnde Nahrungsangebot zu überbrücken?
Nein, ich lebe mein stressiges Leben auch bei Eis und Schnee. Aber ich habe einen super Trick entwickelt, um in der kalten Jahreszeit mit weniger Futter auszukommen: Ich schrumpfe! Na, jetzt macht ihr sicher grosse Augen! Aber so ist es. Im Winter lasse ich meine Knochenmasse schrumpfen, um weniger Energie zu verbrauchen. Es schrumpfen mein Kopf, mein Gehirn und auch alle inneren Organe. Denn je kleiner und leichter mein Körper ist, desto weniger Kraft und Futter brauche ich. So kann ich während des Winters bis zur Hälfte meines Körpergewichts verlieren. Wird es dann wieder wärmer, gehe ich fleissig jagen, um meinen Körper erneut wachsen zu lassen. Das muss mir erst mal jemand nachmachen.
Wie findest du deine Nahrung? Mit deinen kleinen Augen siehst du sicher nicht gut.
Meine Augen sind sogar kleiner als der Kopf einer Stecknadel, damit sehe ich tatsächlich schlecht. Dafür sind mein Geruchssinn dank meiner spitzen Nase sowie mein Hör- und Tastsinn umso besser entwickelt. Mir entgeht keine Beute, wenn ich sie mal gewittert habe. Am meisten Nahrung finde ich übrigens an feucht-kühlen Orten mit viel Bodenstreu und Pflanzenwuchs. Zum Beispiel an der Waldgrenze, wo es viel Totholz und damit genügend Versteckmöglichkeiten gibt. Dort fühle ich mich besonders wohl.
Und wie sieht es mit deinen Feinden aus – wenn du die Beute bist?
Feinde habe ich viele, zum Beispiel das Hermelin, den Mauswiesel, den Fuchs oder auch Eulen und Hauskatzen. Mit meiner kleinen Körpergrösse bin ich den meisten natürlich rein kräftetechnisch unterlegen, auch wenn ich mich recht aggressiv verteidige. Bin ich in Gefahr, wende ich deshalb einen Trick an, mit dem ich schon so manchen Angreifer in die Flucht geschlagen habe: Dann verströme ich einen unangenehmen, stinktierartigen Geruch. Wer will da schon reinbeissen? Allerdings werde ich auch ohne Feinde nicht besonders alt. Kein Wunder – mein Herz hält dieses Leben auf der Überholspur höchstens zwei Jahre aus. Es kommt auch vor, dass die eine oder andere Waldspitzmaus schon früher vor Schreck an einem Herzanfall stirbt. Da müssen wir uns ranhalten, dass wir zuvor noch für genügend Nachwuchs sorgen.
Stichwort Nachwuchs. Wie sieht es denn damit aus?
Da sind wir Waldspitzmäuse fleissig. Zirka dreimal im Jahr bekommen wir bis zu acht Junge, die wir in einem dick gepolsterten Nest aus Blättern, Gras und Moos verstecken und grossziehen. Zu den bedrohten Arten gehören wir deshalb definitiv nicht. Das zeigt auch die Geschichte, denn wir Spitzmäuse zählen zu den ursprünglichsten Säugetieren. Unser Körperbau ähnelt demjenigen der ersten Säuger aus der Kreidezeit vor 66 Millionen Jahren, als sie sich ihren Lebensraum noch mit Dinosauriern teilen mussten. Cool, oder? Wir werden euch Menschen sicher noch überleben.