Serie Waldgeflüster: Der Dachs – Weltrekordhalter im Burgenbau
Mit seiner coolen schwarzen Maske sieht er aus wie ein Panzerknacker. Der Dachs punktet aber nicht nur mit seinem auffälligen Aussehen – er hat noch ganz andere Talente. Zum Beispiel ist er ein echter Meister im Graben. Seine unterirdischen Dachsburgen bestehen aus mehreren Stockwerken. Ein spannendes Interview mit einem Weltrekordhalter.
Hey Meister Grimbart, du bist ja ein stattliches Tier. Bist du gerade auf Nahrungssuche?
Ich jage erst, wenn es dämmert. Wir Dachse sind nachtaktiv. Wie das Wiesel, das Frettchen und der Otter gehöre ich zur Familie der Marder. Mit knapp einem Meter Länge und einem Gewicht zwischen 8 und 18 Kilogramm bin ich sogar der grösste Vertreter dieser Familie. Ich esse sehr gerne. Auf meinem vielfältigen Speiseplan stehen Würmer, Schnecken, Insekten, kleine Nagetiere und manchmal Eier. Genauso gerne mag ich aber auch Wurzeln, Beeren, Samen, Getreide, Obst und Pilze. Zwar sehen meine Augen nicht besonders gut, aber dafür kann ich mit meiner rüsselartigen Nase super riechen und im Boden nach Futter stochern. Ich muss ordentlich fressen, um genug Winterspeck für die kalten Monate anzufuttern. Denn wir Dachse halten zwar keinen echten Winterschlaf, aber wir bleiben dann lieber in unserem gemütlichen Bau. Dafür brauchen wir einen dicken Bauch.
Apropos Bau – da hört man ja unglaubliche Geschichten. Sind eure Häuser tatsächlich so beeindruckend?
Oh ja! Auch wenn man von aussen nur ein paar Erdhügel sieht – die Ein- und Ausgänge –, sind unsere Bauten wahre Meisterwerke. Wir graben sie am liebsten an Hängen in lichten Wäldern oder in der Nähe von Wiesen. Auch in Windschutzstreifen könnt ihr uns finden. Mit unseren kurzen, kräftigen Beinen und den starken Vorderkrallen sind wir perfekt fürs Graben gemacht. Meine eigene Dachsburg, die ich mit meiner Familie bewohne, ist wie eine Villa: mehrere Stockwerke, lange Gänge und grosse Wohnkammern, die wir weich mit Laub, Moos und Farn auspolstern. Da wir es sauber mögen, gilt die Regel: Es wird draussen gegessen und auch aufs Klo gegangen. So eine gepflegte Dachsburg wird oft über Generationen hinweg bewohnt und weiter ausgebaut. Manchmal teilen wir sie auch mit Füchsen – solange sie sich benehmen. Übrigens: Wusstet ihr, dass es der grösste Dachsbau, der jemals gefunden wurde, ins Guinness Buch der Rekorde geschafft hat? Er hatte 50 Kammern, 178 Ein- und Ausgänge sowie Tunnel mit einer Gesamtlänge von 879 Metern.
Aber es heisst doch, dass Dachse Einzelgänger sind. Wie passt das zu den grossen Familienbauten?
Das glauben zwar viele Menschen, stimmt aber nicht. Der Irrtum kommt daher, dass wir allein auf Futtersuche gehen und ihr uns halt nur dann seht. Aber in unseren versteckten Bauten leben wir in Gruppen zusammen und geniessen das Familienleben. Eine Dachsgruppe besteht aus bis zu zwölf Tieren. Wir kuscheln gerne und betreiben gegenseitige Fellpflege – das stärkt den Zusammenhalt.
Stimmt es, dass Dachs-Weibchen ewig schwanger sind?
(lacht) Nicht ganz. Die eigentliche Schwangerschaft dauert nur 45 Tage – also sechs bis sieben Wochen. Aber es gibt ein Phänomen bei den Dachsen, das sich «verlängerte Tragezeit» nennt. Das funktioniert so: Wir paaren uns im Frühling, aber die befruchtete Eizelle ruht dann erst einmal – das nennt man Keimruhe. Erst im Dezember oder Januar beginnt sie sich weiterzuentwickeln, sodass die Fähe – das Dachs-Weibchen – dann im Frühling zwei bis fünf Junge zur Welt bringt. Die Babys sind anfangs blind und wiegen nur etwa 100 Gramm – also so viel wie eine Tafel Schokolade. Manche Jungtiere bleiben bis zu zwei Jahre in der Gruppe, bevor sie eine eigene Familie gründen und ausziehen. Wir Dachse können ein stattliches Alter von 15 Jahren erreichen.
Vor welchen Gefahren müsst ihr euch hüten?
Früher mussten wir uns vor Wölfen, Braunbären und Luchsen in Acht nehmen – aber die sind heute selten. Unser grösster Feind war, ist und bleibt der Mensch. Vor vielen Jahren standen wir sogar auf dem Speiseplan der Liechtensteiner Jäger, bekannt als «Dachsschmaus». Und unser Fett wurde für Salben gegen Krankheiten verwendet. Die schlimmste Zeit für uns Dachse waren aber die Jahre von 1984 bis 1988. Um die Tollwut zu bekämpfen, wurden Fuchsbauten mit Gas ausgeräuchert. Da wir ja häufig die gleichen Bauten bewohnen, hat es auch viele meiner Vorfahren getroffen. Heute haben wir uns zum Glück gut davon erholt. Auch wenn die Menschen mit ihren Autos immer noch eine grosse Gefahr für uns darstellen.
Illustration: Walser Grafik / Fotos: Pixabay