
Antike Siedlungsspuren an der Obergass
Schaan ist reich an archäologischen Funden, die einen Einblick in das Leben auf dem heutigen Gemeindegebiet zu einer Zeit geben, aus der noch keine oder kaum schriftliche Zeugnisse vorliegen. Im vergangenen Jahr konnte die Abteilung Archäologie im Amt für Kultur an der Obergass einmal mehr neue Erkenntnisse gewinnen und der Geschichte der Gemeinde wie des Landes weitere Mosaiksteine hinzufügen.
Das ehemalige Kastell, die auf seinen Mauern errichtete Kirche St. Peter und das Felsplateau «Kröppel» sowie die Umgebung der alten Pfarrkirche beim heutigen Friedhof sind seit vielen Jahrzehnten Anziehungspunkte für die Liechtensteiner Archäologen und Archäologinnen. Schon im ausgehenden 19. Jahrhundert machten sie erste bedeutende Funde. Damals steckte die Wissenschaft in Liechtenstein aber noch in den Kinderschuhen, und es waren in erster Linie Freizeitforscher am Werk. Seit die Archäologie bei der Landesverwaltung angesiedelt ist, geht nicht nur das Ausgraben von Artefakten deutlich professioneller vonstatten. Auch die Planung erfolgt auf einer durchorganisierten Grundlage und auf einer rechtlichen Basis, dem Kulturgütergesetz. Werden innerhalb des sogenannten Archäologischen Perimeters, in dem sich Funde erwarten lassen, Bauarbeiten durchgeführt, schreitet die Abteilung Archäologie des Amts für Kultur zur Tat und führt baubegleitende Massnahmen oder sogar eine Notgrabung durch. Dieser Perimeter liegt zwischen den beiden historischen Schaaner Siedlungskernen Specki und Obergass und erstreckt sich bis in Gebiete östlich davon. So kam es 2024 auch im Rahmen eines Neubauprojekts in der Obergass zu einer solchen Notgrabung – mit erstaunlichen Ergebnissen.
Fünf Gräber und Überreste von Särgen
«Die in Schaan im frühen Mittelalter ansässige und christianisierte romanische Bevölkerung fand ihre letzte Ruhe meist in einfachen Einzelgräbern, angeordnet in Gruppen oder losen Reihen», sagt die Leiterin der Archäologie, Sarah Leib. Frühere Funde zeigen, dass dafür ab dem Frühmittelalter ein Bestattungsplatz im Inneren der damaligen Kirche St. Peter oder um das Gotteshaus herum zunehmend beliebt wurde. «Die Ausgrabungen um die und in der Kirche, die in den vergangenen 70 Jahren stattgefunden haben, belegen dies eindrücklich.» Die jüngsten Grabungen in diesem Bereich fanden im Zuge der Neugestaltungen der drei Platzebenen nördlich und westlich von St. Peter im Rahmen des Freiraumkonzepts im Jahr 2020 statt. Auch dabei traten rund ein Dutzend Bestattungen aus dem Früh- bis Hochmittelalter zutage.
«Bestattungen finden sich in Schaan aber auch weiter entfernt von St. Peter», sagt Sarah Leib und kommt auf die Notgrabungen vom September und Oktober dieses Jahres zu sprechen. Der Ausgrabungsort liegt nur 180 Meter östlich des Gotteshauses, und somit standen die Chancen nicht schlecht, dass die Fachleute dort etwas zutage fördern würden. Tatsächlich stiessen sie bis Ende November auf sieben frühmittelalterliche Gräber. «Die Einzelbestattungen in Rückenlage wurden mit losen Steinen oder einer Art Trockenmauer eingefasst. In zwei Fällen sind Reste von Holzsärgen nachgewiesen», sagt Sarah Leib.
Neue Erkenntnisse führen zu neuen Fragen
Manche der in der Obergass gefundenen, beigabenlosen Gräber standen in Bezug zu einer älteren Mauer. Teilweise führten die Bestattungen auch zu deren Veränderung, und die entnommenen Steine wurden für die Grabeinfassung verwendet. «Die Mauer ist möglicherweise als römisch zu datieren. Zwei Abfallgruben, eine direkt im Eckbereich des ehemaligen Gebäudes, mit spätrömischen Siedlungsresten legen diese Vermutung nahe», sagt Sarah Leib und verweist auf Münzen, Gefässe aus Lavezgestein, Terra Sigillata, also Reste römischen Tafelgeschirrs aus Keramik, Werkzeuge aus Eisen und Horn sowie auf diverse weitere Eisenobjekte. «Die Bestattungen sind demnach in und um die Ruinen eines älteren, römischen Gebäudes angelegt. Möglicherweise waren dessen Mauern damals an der Oberfläche noch zu sehen.»
Die Notgrabung brachte damit überraschende und neue Erkenntnisse zur Siedlungsgeschichte auf dem heutigen Schaaner Gemeindegebiet hervor. «Dennoch sind derzeit noch Fragen offen», sagt die Leiterin der Archäologie und zählt einige auf: «Wie stehen die in der Kampagne 2024 entdeckten römischen Funde und Befunde in Bezug zum nahegelegenen Kastell? Welchem Zweck diente das römische Gebäude? Auf welche Grösse erstreckte sich das frühmittelalterlichen Bestattungsareal in Schaan? Wo befand sich die zugehörige Siedlung? Wann wurde das Areal aufgelassen und als Bestattungsort genutzt?» Einige Antworten auf diese und weitere Fragen wird die Landesarchäologie in den kommenden Monaten sicher geben können. Über die Ergebnisse wird berichtet.
Fotos: Julian Konrad