
Holzkreuze erinnern an Gefahren der Waldarbeit
Die Arbeit im Wald gilt bis heute als eine der gefährlichsten im alpinen Raum – auch wenn sich die Schutzvorkehrungen stark verbessert haben. Dank neuer technischer Hilfsmittel sowie der fundierten Ausbildung der Forstwarte sind tödliche Unfälle glücklicherweise selten geworden. Früher sah dies jedoch ganz anders aus. Daran erinnern sechs Holzkreuze im Schaaner Forst.
Ganz ausschliessen lassen sich die Gefahren, welche die Arbeit im steilen Gelände, die schweren Maschinen und fallende Bäume mit sich bringen, auch heute nicht. Deutlich prekärer war jedoch die Situation der Waldarbeiter im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Davon zeugen die Holzkreuze im Schaaner Forst. Die Männer, derer dort gedacht wird, waren nicht speziell für ihre Arbeit im Wald ausgebildet, und die Ausrüstung lässt sich bei Weitem nicht mit derjenigen der Gegenwart vergleichen. Die Bevölkerung war jedoch auf den Ertrag des Waldes angewiesen und so wurden die gefährlichen Bedingungen in Kauf genommen.
Sechs solcher Kreuze stehen im Halbrund an der Plankner Strasse in der Nähe des Forstwerkhofs auf einer kleinen Lichtung. Sie erinnern an sechs Männer, die im Schaaner Wald während knapp fünf Jahrzehnten zwischen 1882 und 1931 ums Leben gekommen sind. Dahinter verbergen nicht nur tragische Unglücksfälle, sondern auch Familienschicksale, wie folgende Originalzeugnisse zeigen.
Ludwig Mayer 1859–1882
Schaan, 15. Febr. (Eingesandt).
Im Auftrage des löblichen fürstlichen Forstamtes liess der Waldhirt dahier eine Strecke Waldes ausforsten gegen Erlassung des ausgeforsteten Holzes für die Ausforstarbeit. Es meldeten sich zu dieser Arbeit, da unsere Gemeinde einen sehr fühlbaren Holzmangel hat, 54 Mann. Schon am vierten Tage arbeitete man Partienweise daran, an der gleichen Waldstrecke, wobei man täglich höher den Berg hinanstieg. Am 4. ds. waren alle 54 Mann zusammen. Von unten herauf schon, schaffte man das ausgeforstete Holz zum leichteren Transporte an ein Ries hin, machte daselbst sogenannte Zieheten und liess dieselben durch dies Ries in die Ebene hinunter, wo einige Arbeiter die Zieheten lösten; das Holz wegschleppten und in gleichmässige Lose verteilten. Allgemein sassen die Arbeiter, soviel darauf Platz hatten, auf die Zieheten hin, wenn’s zum Mittagessen oder zum Marenden ging; die Arbeiter blieben über Mittag aus. Auf diese Weise kamen sie schnell zur Ebene. So ging’s drei volle Tage recht lustig her ohne nur die geringste Ahnung einer Gefahr oder eines Unglückes. Selbstverständlich kam man mit der Arbeit immer höher in den Berg hinauf; das Ries wurde immer glatter und geschliffener; der Nebel erzeugte wenigsten stellenweise Reif und die Zieheten schossen mit stets zunehmender Schnelligkeit in die Ebene hinunter. Das war aber gerade das Rechte für die jungen Burschen; durch das lange Herunterfahren und das nach und nach in die Höhe steigen, waren sie kühn und furchtlos geworden. Auch hier erwahrte sich auf eine leider traurige Weise das wohlbekannte Sprichwort: Der Krug geht zum Brunnen bis er bricht. Endlich kehrte sich das Blatt zur Mittagsstunde um und die traurige Katastrophe trat ein. Es standen zwei Ziehete parat und die Stunde zum Mittagessen war angerückt. Beim Mittagläuten setzten sich 5 junge Burschen von 16-22 Jahren auf die vorderste Ziehete. – Ihre Namen folgen der Reihe nach, wie sie sich auf die Ziehete hingesetzt hatten: Jakob Kaufmann, Ferdinand Rheinberger, Josef Deflorin, Ludwig Mayer und Johann Jehly. Die Ziehete wurde vom Stapel gelassen, sie war angebunden, sonst wäre sie fortgeschossen, während des Herrichtens und unter Johlen und Hüteschwingen der Mitfahrenden schoss die Ziehete wie per Dampf pfeilschnell dahin. In einem Nu war die Ziehete unten angekommen. Wie die Kugel aus dem Rohre, haben die untenstehenden Arbeiter gesagt, sei die Ziehete hergeschossen. Sogleich als die Ziehete stillstand, sprang Einer auf und rief: Nur schnell, kommt, sehet, sehet! und dabei strömte ihm das Blut durch Mund und Nase, wie bei einem gestochenen Tiere. Ein Zweiter erhob sich von der Ziehete mit einer stark blutenden Hand. Auf den Hilferuf eilten die Arbeiter sogleich auf den Unglücksplatz zu. Zwei lagen wie tot mit ganz blutigen Köpfen schwer verwundet noch auf der Ziehete. Den Einen zog man länger als tot herum und brachte ihn sorgfältigst auf den Armen tragend zum Feuer hinunter; darauf wurde der Zweite heruntergeholt. Da rief der Erste, der sich von der Ziehete erhoben hatte: Es muss noch Einer unten sein. Erschrocken sahen die Männer um, denn sie wussten nicht, wieviele aufgesessen waren und in Schrecken und in der Sorge für die so schwer Verwundeten, war es ihnen auch nicht gleich eingefallen, nachzufragen, ob Alle da seien, und fanden denn zu ihrem grössten Schrecken den Ludwig Mayer hinterhalb unter der Ziehete. Nachdem der Unglückliche gelöst war, glaubte man noch einiges Leben an ihm wahrzunehmen, auf’s Behutsamste wurde auch dieser zum Feuer hinuntergetragen. Dort wandte man alle Wiederbelebungsversuche an ihm an; es wurde Wein am Feuer gewärmt und eingeträufelt; man rieb ihn, zog die Stiefel ab und rieb die Fusssohlen, ja, Einer setzte an den Mund an, um ihn wieder zu Atem zu bringen; aber alle Versuche blieben erfolglos, er kam nicht zu sich. Weil man an ihm keine Wunden wahrnahm und auch keinen Blutverlust bemerkte, so glaubte man, der Unglückliche wäre bloss erstickt unter der Ziehete. Die ärztliche Untersuchung aber konstatierte den Einbruch von drei Rippen und die Sprengung des Brustkastens. Als man das Unglück erkannte, wurden sofort Drei abgeschickt, den Einen um einen Geistlichen, den Andern um den Doktor und den Dritten um ein Fuhrwerk. Die anderen Viere, von denen drei bedenkliche Wunden am Kopfe trugen und am Gesichte, wurden heimgeführt. Das war eine grauenerregende Katastrophe, an die alle Anwesenden ihr Leben lang denken werden; den Einen sah man tot hingestreckt, zwei Andere lagen halbtot da mit geschundenen Köpfen und ganz mit Blut bedeckt, der Vierte trug eine grosse Wunde an der Stirne, hatte hochgeschwollene Augen und schien ein Auge ganz verloren zu haben und vermochte bloss noch aufrecht zu stehen. Auf dem Platze sah es wie in einer Metzg aus. (…)
Möchte man doch endlich einmal durch fremdes Unglück klug werden und nicht so waghalsig und verwegen sein und besonders im Walde Vorsicht gebrauchen, damit nicht jährlich die Unglückschronik durch Unfälle im Walde um mehrere Opfer bereichert würde.
Bericht im Liechtensteiner Volksblatt vom 17. Februar 1882
Jakob Wachter 1885–1906
Unglücksfall.
Der 21jährige Jakob Wachter bei Nr. 7 in Schaan, der am 1. März im sog. Wiesseler-Wald Holz fällte, entfernte sich von seinem Begleiter, um ein Stück Holz zu suchen und stürzte über einen Felsen, an dessen Fuss er bald mit vollständig zertrümmerter Schädeldecke als Leiche aufgefunden wurde.
Meldung im Liechtensteiner Volksblatt vom 9. März 1906
Josef Beck 1858–1921
Schaan. Schwerer Unglücksfall
Wie das letzte Jahr mit einem schweren Unglücksfall endete, begann auch das neue mit einem solchen. Wieder verlor die Gemeinde Schaan einen hochgeachteten Bürger durch einen Unglücksfall, den Altvorsteher und langjährigen Kassier Josef Beck. Am 3. Jänner drückte dem Dahingeschiedenen beim Holzfällen eine Tanne das Schläfenbein ein. Am gleichen Tage noch verschied er ohne das Bewusstsein wieder völlig erlangt zu haben. Er ruhe im Frieden! Den Angehörigen und der Gemeinde Schaan unser herzlichstes Beileid.
Meldung in den Oberrheinischen Nachrichten vom 5. Januar 1921
Emanuel Wenaweser 1862–1921
Schaan. Unglücksfall.
Ein allgemein geachteter Mann, Emanuel Wenaweser, Vater von fünf Kindern, Vorarbeiter bei der Firma Gebrüder Hilti wurde das Opfer der Rüfe. Mit mehreren Arbeitern war Wenaweser im Ifiplankentobel an der Wildbachverbauungsarbeit beschäftigt. Plötzlich hörte man das Rauschen und Rollen der sich heranwälzenden Massen. Die Arbeiter retteten sich mit Wenaweser auf die seitlich erstellten Mauern. Da riss ein von der Böschung abrollender Stein den Unglücklichen in die Tiefe, und schon rollte die Schlamm- und Steinmasse des tückischen Tobels über dessen Körper. Nach dem ärgsten Ansturm des Elementes fanden die Mitarbeiter auf langes Suchen hin den Leichnam eine grössere Strecke weiter unten. Die gewaltige Beteiligung beim Leichenbegängnisse zeugte von der Teilnahme der Bevölkerung und der Beliebtheit des Verunglückten. Er ruhe in Frieden!
Dieser schwere Unglücksfall macht uns aufs neue doppelt auf unsere zweite Landesnot, die Rüfenot, aufmerksam. Nachdem voriges Jahr der Rhein uns eine ernste Mahnung erteilt hatte, fangen nun die Rüfen wieder an, uns eindringlich unsere Abhängigkeit von ihnen vor Augen zu führen.
Meldung im Liechtensteiner Volksblatt vom 13. Juli 1921
Andreas Hilti 1907–1931
Schaan. Unglücksfall.
Am Dienstag nachmittag ereignete sich dahier ein sehr bedauerlicher Unglücksfall. Beim Losholzrüsten auf Evisalp wurde der im blühenden Alter von 24 Jahren stehende Zimmermann Andreas Hilti von einer niedergehenden Tanne erfasst und in die Tiefe gezogen, wo der Bedauernswerte in schwer verletztem Zustande liegen blieb. Neben schweren Verletzungen am Unterleib hatte es dem guten Andreas am Schenkel die Schlagader geöffnet, ein rasches Verbluten liess ein junges Leben allzurasch entfliehen. Und daheim! Da sass eine Witwe und Mutter über der Arbeit gebeugt, ahnungslos, dass ihr Einziger, den sie in Sorgen ohne Ernährer grossgezogen, dass ihr einziger Sohn droben im Holze eines solchen Todes sterben musste. Und neben ihr hantierte im Hause die Schwiegertochter Mathilde, die ihr Sohn vor 6 Wochen als Gattin ins Haus in der Wiesengasse geführt. Ein kurzes Glück, dem ein jäher Schlag ein jäheres Ende bereitete. Fürwahr, man weiss nicht, wem mehr Mitleid sich zuwenden soll, der Mutter, der in jungen Jahren der Mann ebenfalls entrissen wurde und die mit Fleiss und rastlosem Sorgen den Sohn grossgezogen oder der jungen Frau Mathilde geb. Ender. Es sind dies herbe Tage, die wir in der Gemeinde mit den beiden Frauen fühlen. (…)
Meldung in den Liechtensteiner Nachrichten vom 5. Januar 1932
Karl Kaufmann 1912–1933
Schaan. Verunglückt.
„Mitten im Leben sind wir vom Tode umgeben“, die Wahrheit dieses Spruches musste am Dienstag die Familie Kaufmann zum Rössli erfahren. Unfasslich schien es jedem, dass Karl, der einzige Sohn, nicht mehr am Leben sein soll, der, den man noch vor Stunden in der gewohnten Geschmeidigkeit ums Haus hantieren oder fröhlich scherzen sah. Aber der gute Karl war eben nicht mehr, gegen Mittag musste der Witwe Kaufmann zum Rössli vom Gehölz unter Evisalp her die Kunde vom Unglück überbracht werden, das Karl und damit auch die Familie betroffen. Der erste Gedanke galt wohl der Mutter, die durch den frühen Tod des Gatten vieles litt. Schwer, unendlich schwer wird es dem Mutterherzen fallen, auch den einzigen Sohn im 22. Lebensjahre dahinzugeben, eine gute Stütze im Haus und in der ausgedehnten Ökonomie. Aber die glaubensstarke Frau wird auch dieses Opfer bringen. – Karl ging mit noch andern ins Holz, droben in der Höhe von Evisalp wars weicher, der Schnee setzte sich an die Schuhe. So kam Karl im steilen Ries ins Kollern, kollerte vielleicht 60 Meter hinunter und blieb mit gebrochenem Genick liegen. Die erste Hilfe leistete Herr Dr. Brunhart. Wenn diese Zeilen unsern Lesern unterkommen, ruht ein hoffnungsvoller und allgemein beliebter junger Mensch draussen auf St. Lorenz in kühler Erde. Gott wird ihm den Frieden geben. Den Angehörigen unser herzlichstes Beileid.
Meldung in den Liechtensteiner Nachrichten vom 6. Dezember 1933
Auftaktfoto: Albert Eberle
Bilder: Gemeindearchiv Schaan