«Das Lesen der Dorfchronik soll Spass machen»
Sie ist vollendet: die vierbändige Chronik «Schaaner Dorfgeschichte(n) von den Anfängen bis zur Gegenwart». Im Interview gibt Historiker und Autor Heribert Beck, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Geschichte und Kultur, einen Einblick in die Entstehung der Buchreihe, die Fakten mit unterhaltsamen Anekdoten verbindet.
Mit der Aufarbeitung der Schaaner Geschichte in Form einer Buchreihe hat künftig nicht nur die Gemeinde ein tolles Nachschlagewerk zur Hand, sie bietet auch allen Einwohnerinnen und Einwohnern eine interessante Lektüre. Wie entstand die Idee zur Erstellung der Dorfchronik?
Meine Vorgängerin bei der Gemeinde Schaan, Eva Pepić-Hilbe, hat mir eine lange Liste mit «Desiderata» hinterlassen – also, Themen, die sie als wünschenswert erachtete, dass ich mich ihnen annehme. Dazu gehörte die Zusammenfassung einer rund 70-seitigen Gemeindegeschichte. Das Word-Dokument, das ursprünglich einmal dem Schulgebrauch dienen sollte, ist in den vergangenen 23 Jahren bereits von mehreren Fachleuten überarbeitet worden. Als ich Gemeindesekretär Uwe Richter gefragt habe, auf wie viele Seiten ich das Dokument kürzen sollte, antwortete er nur: «Kürzen? Überhaupt nicht. Mach drei Bände daraus!» Auch wenn er das in diesem Moment wahrscheinlich nicht ganz ernst gemeint hat, verdanke ich es seinem Geschichtsinteresse, dass es das vorliegende Werk überhaupt gibt. Denn nach diesem Gespräch kehrte ich motiviert in mein Büro zurück und freute mich darauf, den Text «explodieren» zu lassen. So sind aus den 70 Seiten sogar vier Bände geworden.
Die Dorfchronik hat den Anspruch, die Gemeindegeschichte von der Eiszeit bis heute so umfassend wie möglich darzustellen. Wo fängt man bei so einer Mammutaufgabe an?
Als erstes habe ich ein Konzept erstellt – einen Leitfaden mit einem groben Aufbau des Werks. Zu den dort aufgeführten Punkten habe ich anschliessend aus unterschiedlichsten Quellen Informationen gesammelt, die ich im Kopf hatte oder die mir in die Hände gefallen sind. Dabei ging ich weniger chronologisch als vielmehr chaotisch vor – oder nennen wir es kreativ. Von «kreuz und quer» flossen die Infos ein, die ich den verschiedenen Themen zugeordnet habe. Mein Deutschlehrer am Gymnasium hätte sich bei diesem Vorgehen wohl die Haare gerauft. Nach der Faktensammlung folgte dann die Schreibarbeit.
Kommen wir auf die Klammer im Titel «Schaaner Dorfgeschichte(n) von den Anfängen bis zur Gegenwart» zu sprechen: Sie deutet an, dass sich neben den historischen Fakten im Buch auch Anekdoten aus dem Dorfleben finden. Wie kam es zu dieser Verbindung?
Es war von Beginn an mein Ziel, dass das Werk nicht nur wissenschaftlich fundierte Fakten vermittelt, sondern das Lesen auch Spass macht. Das habe ich mit dem Einbau von Dorfgeschichten zu erreichen versucht. Fündig wurde ich in zahlreichen kürzeren und längeren Biografien über Personen, die Schaan mitgeprägt haben, aber auch in vielen anderen Quellen. Diese kleinen Anekdoten, die in den verschiedenen Kapiteln eingebaut sind, entführen die Leser auf lustige, spannende, aber auch traurige und schockierende Exkurse in die Vergangenheit.
Verrätst du uns die eine oder andere deiner Lieblingsgeschichten?
Eine kleine Geschichte betrifft das Zitat, das schliesslich zum Titel der Dorfchronik geworden ist. Landvogt Franz Michael Heinrich Gilm von Rosenegg schrieb im Jahr 1784 über Schaan: es sei «das schönste und grösste Dorf im ganzen ReichsFürstenthum Liechtenstein». Es war den Menschen also bereits vor 240 Jahren bewusst, wovon wir noch heute überzeugt sind. In anderen Bereichen haben sich die Zeiten aber durchaus geändert. So belegt ein Dokument aus dem Jahr 1538, dass ein Pfarrer per Testament festgelegt hat, dass sein Erbe zu gleichen Teilen an seine drei Söhne aufgeteilt wird – mit dem Zusatz, dass allfällige weitere Kinder ebenfalls erbberechtigt sein sollen. Offenbar ging die damalige Gesellschaft unbefangener mit dem Fakt um, dass ein Pfarrer Nachkommen zeugt und sich über deren Anzahl nicht ganz sicher ist. Ein anderes, amüsantes Beispiel, das allerdings aus heutiger Sicht vielleicht gar nicht so zu überraschen vermag, ist eine Überlieferung aus dem Jahr 1711: Sie thematisiert einen Gerichtstag, der nicht stattfinden konnte, weil die Balzner Delegierten zu spät gekommen sind. (schmunzelt) Im Bereich der Gerichtsverhandlungen gibt es sowieso viele spannende Anekdoten. Die Schwere der Vergehen zeigt aber, dass Schaan schon damals eine Insel der Seligen war. Denn die Gerichte hatten sich vor allem mit «Fremdgängereien» und Einbrüchen zu beschäftigen. So gab es einen Fall, bei dem ein Einbrecher ungehindert ein Haus plündern konnte, während die Magd seelenruhig im Wohnzimmer sass. Als ein Beamter nachfragte, warum letztere denn nichts unternommen habe, antwortete der Geschädigte nur: «Die Magd hört auch sonst nicht gut.» Eine letzte Geschichte, die ich erwähnen möchte, dreht sich um Ferdinand Walser, Schaaner Vorsteher Ende des 19. Jahrhunderts. Vor seiner Amtszeit gehörte er zu den höchst dekorierten Soldaten des Liechtensteiner Militärs. Er kämpfte 1849 in Baden am letzten echten Gefecht mit Liechtensteiner Beteiligung, wonach er für sein überlegtes Handeln ausgezeichnet wurde. So war es vielleicht ihm zu verdanken, dass das Scharmützel auf Liechtensteiner Seite nur zwei Verwundete gefordert hatte – den einen erwischte ein Streifschuss, der andere wurde von einem Pferd getreten.
Die Dorfchronik umfasst vier Bände. Wie sind diese aufgebaut?
Der erste Band behandelt die äusseren Einflüsse – zum Beispiel jene der Kirche, der Kriege oder auch der wirtschaftlichen Umstände. Im zweiten Band geht es um die Entwicklung im Inneren – wie Schaan vom Bauerndorf zu einer Industriemetropole wurde und wie sich im Zuge dessen die Infrastruktur veränderte. Der dritte Band erzählt vom Leben der Menschen – von den Bürgerrechten, den Pflichten und der Freizeitgestaltung. Und im vierten und letzten Band finden sich schliesslich Zahlen und Fakten sowie ein Namensregister. Die klare Zuteilung zu den Themen war eine Herausforderung, da diese oft ineinandergreifen. Deshalb stossen interessierte Leser auch immer wieder auf Seitenverweise, die sie zu verwandten Themen führen.
Mehr als drei Jahre Arbeit stecken in der vierbändigen Dorfchronik. Wenn du diese in Prozentsätze aufteilen müsstest: Für welche Tätigkeit hast du wie viel Zeit investiert?
Insgesamt stecken wohl schon rund 2500 Stunden in der Dorfchronik. Wie viel Zeit ich dabei genau für welche Arbeiten aufgewendet habe, kann ich nur grob abschätzen: Ich würde sagen, 70 Prozent habe ich in das Zusammentragen der Informationen und in die Schreibarbeit investiert – wobei mich Gemeindearchivarin Gina Jehle tatkräftig bei der Dokumenten- und Bildersuche unterstützt hat. 20 Prozent stecken im fachlichen und inhaltlichen Austausch mit Eva Pepić-Hilbe, die als meine Beraterin, Lektorin und Korrektorin fungierte. Und 10 Prozent habe ich die Grafik beschäftigt, wobei ich mit Armin Muhamedagić von Neuland einen grossartigen Grafikdesigner zur Seite hatte. An dieser Stelle darf ich auch Praktikantin Jael Hollenstein lobend erwähnen, die viele Stunden in das Namensregister investiert und mir damit einiges an Arbeit abgenommen hat.
Am Sonntag, 10. November, wird die Dorfchronik der Bevölkerung im SAL präsentiert – sozusagen als krönender Höhepunkt einer langen Reise. Bist du schon nervös?
Ein bisschen nervös bin ich schon, vor allem, weil ich nicht gerne auf einer Bühne stehe. Ich sitze lieber auf der anderen Seite. Andererseits bin ich auch gespannt auf das Feedback. Was ich auf jeden Fall allen Interessierten versprechen kann: Es erwartet sie ein Abend mit spannenden Auszügen aus dem Buch und auch der einen oder anderen Geschichte zum Schmunzeln.
Mit der Veröffentlichung des Werks hat ein mehrjähriges Projekt sein Ende gefunden. Erstmal Gratulation dazu. Drohst du nun in ein Loch zu fallen? Bist du einfach nur froh, die Dorfchronik endlich abgeschlossen zu haben? Oder fokussierst du dich bereits auf die Umsetzung der nächsten Idee?
Noch spüre ich kein Loch, sondern zunächst einmal Erleichterung und Freude über die Vollendung des Werks – auch wenn ich die Arbeit sehr gerne gemacht habe. Und wenn mich das Berufsleben eines gelehrt hat: Ist etwas abgeschlossen, kommt immer etwas Neues. Mit der Aufschaltung der Ahnenforschungsdatenbank, bei der ich für Schaan zuständig bin, ist das nächste grosse Projekt bereits in greifbarer Nähe.
Interessiert an der Schaaner Dorfchronik? Die vier Bände können am 10. November im SAL erworben werden und sind anschliessend im domus und in der Buchhandlung Omni erhältlich.
Foto: Brigitt Risch