Wie Rüfen im Zaum gehalten werden
Dank sicherer Rüfeverbauungen und des bestmöglichen Managements von Land und Gemeinden können Murabgänge heute zwar gut kontrolliert werden, eine Garantie, dass nichts passiert, gibt es aber nie. Doch wie genau funktioniert eigentlich eine solche Verbauung? Der Versuch einer Schritt-für-Schritt-Erklärung.
Vergangene Woche stellte der SchaanBlog im Beitrag «Schaan und die Rüfen – eine unendliche Geschichte» die historische Dimension der Naturgefahr sowie die Zusammenarbeit von Land und Gemeinden im Sicherheitsmanagement in den Fokus. Einen hohen Stellenwert nehmen dabei die Verbauungen ein. Förster und Rüfeschutzbeauftragter Gerhard Konrad erklärt im Folgenden, wie diese Wasser, Schlamm, Schnee und Geröll in geregelte Bahnen lenken.
Generell lässt sich sagen, dass ein Rüfeabgang stets in drei Phasen unterteilt ist: In der ersten Phase entsteht er, in der zweiten gewinnt er an Kraft und Geschwindigkeit und in der dritten breitet er sich im Ablagerungsbereich aus. Je nachdem variieren auch die Sicherheitsmassnahmen.
PHASE 1
Auf den beiden Fotos sind Rüfe-Einzugsgebiete zu sehen – also zwei Gebiete, in denen Rüfeabgänge entstehen können. Dabei handelt es sich entweder um das Gebiet oberhalb der Waldgrenze, das vor allem aus Felsen und Erde besteht, oder um ein solches unbestocktes – also baumloses – Gebiet mitten in einem steilen Waldstück.
Die Problematik besteht genau darin, dass diese Gebiete nicht bewaldet sind und somit die natürliche «Bremse» bei einem Abgang fehlt. Denn Bäume bremsen Steinschläge sowie Erdrutsche und erschweren ganz allgemein die geologische Verwitterung. Hinzu kommt, das Wasser durch die fehlende Vegetation nicht aufgesogen werden kann und oberflächlich abfliessen muss. So führen Erosions- und Verwitterungsprozesse in Zusammenhang mit Regen, Hagel, Schnee, Gefrieren und Auftauen zu gefährlichen Situationen. Insbesondere, wenn Wasser in Ritzen gelangt, dort gefriert und sich dadurch ausdehnt. Im schlimmsten Fall werden so ganze Felsspalten gesprengt und gewaltige Mengen an Material geraten ins Rutschen.
Als Hauptaufgabe im Einzugsgebiet gilt es für das Expertenteam, die Wetter- und damit Gefahrenlage stets im Auge zu behalten.
PHASE 2
Nach der Entstehung im Rüfe-Einzugsgebiet kanalisiert sich das gesammelte Material aus Geröll, Schlamm und Erde im Transitbereich, von wo aus es sich seinen Weg weiter Richtung Tal bahnt. Als Transitbereich wird ein natürliches Gerinne bezeichnet, das eine gewisse Steilheit aufweist, die den Rüfeabgang beschleunigt und ihm Kraft verleiht.
Als Schutzmassnahme wird das Gefälle im Transitbereich durch die Erstellung von mehreren Stufen beziehungsweise Sperren künstlich gebrochen. Das entschleunigt und entkräftet den Prozess, denn bei jeder Sperre bleibt ein Teil des Materials liegen, was den Abgang verlangsamt. So kann das Material anschliessend kontrolliert in unbesiedeltes Gebiet gelenkt werden.
PHASE 3
Nachdem die Rüfe mit einer gewissen Geschwindigkeit den Hang heruntergekommen ist, fächert sie – ohne Lenkung durch den Menschen – im sogenannten Auflandungsbereich aus. Damit wird das Gebiet bezeichnet, in dem das Gefälle flacher wird. Diese Phase des Rüfeabgangs stellt die grösste Bedrohung für den Menschen dar, da sich der natürliche Auflandungsbereich meist direkt oberhalb des Siedlungsgebiets befindet. Insbesondere früher war die Gefahr gross, dass Häuser unter den Schutt- und Schlammmassen begraben werden. Mit ROT ist auf dem Foto das natürliche Auflandungsgebiet gekennzeichnet, wo sich der Rüfeabgang – ohne menschliche Einwirkung – ausbreitetet.
Um diese Gefahr bestmöglich zu bannen, leiten Experten heute die Rüfeabgänge künstlich ab und führen sie in die Sammleranlagen. (mit GRÜN markiert)
ENDPHASE
Die künstlichen Sammleranlagen – die Endstation der Abgänge – verfügen jeweils über drei Ebenen: Auf der ersten wird das Kies aufgefangen, auf der zweiten Ebene der Schlamm, und die dritte Ebene erreicht mehr oder weniger nur noch Wasser. So kommt das rutschende Material schliesslich zum Stillstand.
«Durch den technischen Fortschritt und solche effizienten Rüfeverbauungen, die wir das ganze Jahr hindurch instand halten, lassen sich Rüfeabgänge in der Regel gut kontrollieren», sagt Gerhard Konrad. «Beherrschen wird der Mensch die Natur allerdings nie vollkommen. Ein Restrisiko bleibt bestehen.»
Somit darf man lediglich hoffen, dass es die Natur weiterhin gut mit uns meint und Liechtenstein vor grösseren Katastrophen bewahrt. An dieser Stelle ein grosses Dankeschön an das Fachexpertenteam, das sich jahrein, jahraus für die Sicherheit des Landes einsetzt.
Fotos: Eddy Risch