Schaan und die Rüfen – eine unendliche Geschichte
Zusammen mit Rhein und Föhn gehören die Rüfen zu den drei Landesnöten Liechtensteins. Schaan ist dabei besonders von Murabgängen gefährdet, da fast das gesamte Siedlungsgebiet auf Rüfenschuttkegeln liegt. Um die Bevölkerung vor einem Unglück zu schützen, arbeitet das Amt für Bevölkerungsschutz Hand in Hand mit den Rüfemeistern der Gemeinden.
Das Problem der Rüfen, die in früheren Zeiten regelmässig Land und Strassen verschütteten, hat Liechtensteins Bevölkerung seit der Besiedlung beschäftigt. Landesweit hatten die Menschen mit den Gebirgsbächen zu kämpfen, die durch ihre starke Erosionstätigkeit bei Schneeschmelze oder langanhaltenden Niederschlägen zur Bedrohung wurden. So verwundert es wenig, dass die Regierung den Schutzbauten bereits im Jahr 1871 ein eigenes Gesetz gewidmet hat. Ein Gesetz, das insbesondere für Schaan Bedeutung hatte. Denn auf dessen Gemeindegebiet liegen gleich fünf Rüfen: die Quader-, die Kröppel-, die Gamander- und die Forstrüfe sowie der Ställabach.
Ernüchternder Bericht aus dem Jahr 1894
Um sich ein Bild vom Zustand der Wildbäche und Rüfen zu machen, beauftragte die Regierung im Jahr 1894 den Ingenieur A. Sulser, einen entsprechenden Bericht inklusive Gutachten zu erstellen. Das Fazit sah ernüchternd aus. «Sind schon die Bauten wenig widerstandsfähig, so scheint man das Wort ‹Unterhalt› an vielen Orten gar nicht zu verstehen, oder es scheinen die Verhältnisse den Leuten vollständig über den Kopf gewachsen zu sein; wir treffen verschieden Bachläufe, die einst verbaut waren und gebesserte Verhältnisse aufwiesen, sich jetzt aber wieder vollständig ungestört tiefer einfressen», schrieb der Ingenieur. Auch merkte er in seinem Bericht an, dass Ziegen den Jungwuchs der Wälder an steilen Stellen erbarmungslos niederfressen, was ein grosses Problem darstelle. Denn – so erkannte Sulser schon damals richtig – die Natur selbst biete neben den künstlichen Schutzbauten immer noch den grössten Schutz vor Katastrophen: «Hier möchte ich das Hauptgewicht legen nicht auf die Verbauung selbst, sondern auf mögliche Schonung und Pflege der Vegetation, auf Bewaldung und Berasung […]. Bei so steilem Gelände ist der Humus und das Geschiebe sozusagen immer im labilen Gleichgewichte und das beste Mittel, sie haltbar zu machen, ist die Vegetationsnarbe.»
Sulser legte der Regierung ans Herz, dringend Massnahmen zu ergreifen, damit sich die prekären Zustände nicht weiter verschlimmern. Dafür müssten aber entsprechende Fachpersonen zur Verfügung stehen: «Es wäre für die Ausführung der Wildbachverbauungen ein grosser Gewinn, wenn eine grössere Zahl richtig ausgebildeter heimischer Arbeiter […] vorhanden wäre. Vielleicht wäre es der Regierung möglich, durch ihren Einfluss […] junge, tüchtige Leute zu veranlassen, sich in dieser Richtung im Ausland auszubilden?» Und so schloss er seine Ausführungen auch nachdrücklich mit den Worten: «Ein Unterlassen der Verbauung kann sehr fatale Folgen haben.»
Dieser Ratschlag wurde beherzigt. Im 20. Jahrhundert konnten die Gefahrenstellen dank staatlicher Bauzuständigkeit und Subventionen durch solide Verbauungen reduziert werden. Eine entscheidende Wende nahm die Rüfeverbauung im Jahre 1937. Damals wurden die Bauführungen vom Lande übernommen und dafür gar eine eigene Stelle geschaffen. Gleichzeitig wurden die Kostenbeiträge des Landes auf 70 Prozent erhöht und die Gemeinden hatten «nur noch» für die restlichen 30 Prozent aufzukommen. Die Rüfen waren damit weitgehend zu einer Landesangelegenheit geworden. Nach dem Zweiten Weltkrieg gehörten die Schutzbauten sogar zeitweilig zu den grössten Budgetposten in der Landesrechnung.
Zusammenarbeit zwischen Land und Gemeinde
Heute arbeiten das Amt für Bevölkerungsschutz sowie die in den Gemeinden bestellten Rüfemeister Hand in Hand, um Gefährdungen frühzeitig zu erkennen und vorbeugend Schutzmassnahmen zu ergreifen. Als Anhaltspunkt gilt dabei eine flächendeckende Gefahrenkarte, die regelmässig aktualisiert wird. «Wir überwachen die Rüfen sowohl in Trocken- wie auch in Regenzeiten», sagt Gemeindeförster Gerhard Konrad, der in Schaan auch die Funktion des Rüfemeisters innehat. «Wir mähen sie regelmässig frei, räumen Geröll weg, bessern Seitenmauern aus und flicken schadhafte Stellen.» Ist eine gefährliche Wetterlage wie ein andauernder Starkregen vorhergesagt, sind das Amt für Bevölkerungsschutz, die Landespolizei und die Rüfemeister rund um die Uhr im Einsatz, um zu kontrollieren, ob das Wasser überall richtig abfliesst. «Wird die höchste Gefahrenstufe erreicht, ziehen wir auch Baggerfahrer bei, um die Abflüsse freizuschaufeln.»
Dank der guten Zusammenarbeit von Land und Gemeinden kam es in Schaan schon sehr lange zu keinem Ernstfall mehr. Es wird viel in sichere Schutzbauten investiert, für deren Kosten das Land aufkommt. Die Rüfen, die eine Gefahr für das Siedlungsgebiet darstellen, werden dabei auf ein 300-jähriges Ereignis ausgerichtet. Das bedeutet, auf ein Ereignis, das statistisch gesehen alle 300 Jahre eintritt. Zu den grössten Projekten der letzten Jahre zählten dabei die Verbauungsarbeiten rund um die Quaderrüfe, die bis zur Sanierung des alten Fürstenwegs reichten. Aber auch die übrigen Schaaner Rüfen werden fortlaufend sicherer gestaltet, sodass sich in einer Ernstsituation das Geröll, der Schlamm und das Wasser nicht Richtung Wohnsiedlung, sondern in die Retentionsbecken und Geschiebesammler, in den Wald oder allenfalls in unbebautes Wiesland ergiessen.
Dabei sind nicht nur starke Regenfälle ein Risikofaktor. «Eine Herausforderung stellt auch der Biber in Sammleranlagen und Retentionsräumen dar», weiss Gerhard Konrad. «Zum Beispiel hat ein solcher einmal 26 Löcher in einen Schlammsammler gegraben, was für dessen Stabilität natürlich alles andere als gut war.» Und ganz grundsätzlich steige das Risiko der Rüfen mit dem Klimawandel. «Wir sind also in Zukunft noch mehr gefordert, die Schutzbauten regelmässig im Auge zu behalten und auszubessern. So halten wir die Gefahr in Schach, auch wenn es nie eine 100-prozentige Sicherheit geben kann.»
Quelle: Die Wildbäche und Rüfen des Fürstentums Liechtenstein / Bericht an die hohe fürstlich liechtensteinische Regierung von A. Sulser, Ingenieur / August 1894
Auftaktbild: Verbauungsarbeiten an Kröppelrüfe 1937 (Liechtensteinisches Landesarchiv / B133/012/009)
Die Rüfen – ein spannendes und wichtiges Thema, das Schaan auch in Zukunft beschäftigen wird. Wie genau so eine Verbauung funktioniert, erfahrt ihr in den kommenden Tagen im Artikel «Wie Rüfen im Zaum gehalten werden».