
Josef Peer: Der erste Regierungschef mit Schaaner Wurzeln
Seine ersten Schritte in der Bildungslandschaft machte Josef Peer in der Schaaner Volksschule. Dass ihn sein Karriereweg weit führen würde, war bereits damals zu erahnen. Wie weit er tatsächlich kam, hätte seinen Lehrer Ludwig Seger aber wohl überrascht, wäre er nicht in jungen Jahren einer Krankheit erlegen, die auch Josef Peer durchleiden musste.
Am 13. Juni 1864 erblickte Josef Peer in Erl bei Kufstein in Tirol das Licht der Welt. Sein Vater kam als Beamter der Zollwache im Gebiet der k.-u.-k.-Monarchie herum. Zur Geburt seines Sohnes stationiert an der Grenze zum Deutschen Reich, tat Peer Senior auch Dienst in Südtirol und später in Liechtenstein, das mit einem Zollvertrag mit der Donaumonarchie verbunden war. Die Nähe zur Heimat seiner Gattin, Nüziders, könnte beim Wunsch nach Versetzung eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wohnte die Familie bereits in Schaan, als Josef 1870 eingeschult wurde. Mindestens vier Jahre besuchte er die dortige Volksschule, wie seine drei im Gemeindearchiv erhaltenen Zeugnisse zeigen. Auf der damaligen Skala von 0 für «vorzügliche» bis 4 für «geringe» Leistungen gelang ihm in der ersten Klasse das Kunststück, einen Notenschnitt 0 zu erreichen. Später musste er ein paar Einser hinnehmen, was immer noch für «sehr gute» Leistungen stand. In der zweiten Klasse im Jahr 1872/73 könnte dies auch daran gelegen haben, dass er einige Zeit mit Typhus ausfiel – genau wie zehn andere Kinder der Volksschule Schaan im selben Schuljahr. Dies jedenfalls merkte Lehrer Seger jeweils in den Zeugnissen an.
Vom Volksschüler zum Hauslehrer
Das Bakterium, das Typhus erregt, wird über verunreinigte Nahrungsmittel oder Trinkwasser übertragen. Die modernen Behandlungsmöglichkeiten mit Antibiotika standen 1874 noch nicht zur Verfügung. Dennoch waren die Überlebenschancen nicht so schlecht. Jedenfalls häuften sich die Todesfälle in Schaan längst nicht so wie es die Anzahl der erkrankten Schüler, immerhin mehr als jeder fünfte, hätten befürchten lassen. Lehrer Seger jedoch, der schon länger unter einer angeschlagenen Gesundheit litt, schied im August 1874 mit nur 29 Jahren dahin. Und Josef Peer ging bald andere Wege. Dank seiner guten Noten konnte er von Schaan aus das Gymnasium in Feldkirch besuchen, wo später die ganze Familie Wohnsitz nahm. Josef entschied sich nach der Matura für ein Studium der Rechtswissenschaften in Innsbruck. «Aus Erzählungen meiner Mutter weiss ich, dass mein Grossvater im Gymnasium ebenfalls ein hervorragender Schüler war. Die finanziellen Mittel der Familie reichten offenbar aber nicht für das Studium aus. So musste er sich dies als Hauslehrer selbst verdienen. Er tat es von 1886 bis 1888 bei der Familie des Freiherren Wolfgang von Walterskirchen, die ihm zum Abschied einen silbernen Kerzenleuchter [Bild rechts] mit Widmung vermacht hat, der heute bei mir zu Hause einen Ehrenplatz hat», sagt Peers Enkeltochter Marianne Marxer. Sie vermutet, dass ihr Grossvater bei der Adelsfamilie auch einiges über die gesellschaftlichen Gepflogenheiten der damaligen Zeit gelernt hat – denn viele Walterskirchens verkehrten in den höchsten Kreisen der Donaumonarchie, und sie hatten als eine von 106 Familien, darunter auch die Fürsten von Liechtenstein, einen erblichen Sitz im Herrenhaus, dem Oberhaus der Legislative.
Ein Brillantring vom Kaiser
Die Türen für seine spätere Karriere dürfte ihm aber vor allem sein schulischer Erfolg geöffnet haben, der sich bis zur Promotion zum Doktor der Rechte fortsetzte. Josef Peer legte sie «Sub auspiciis Imperatoris», also unter der Aufsicht des Kaisers, ab. Ein Kandidat für den Doktortitel, der die Maturitätsprüfung und alle Universitätsprüfungen mit ausgezeichnetem Erfolg bestanden hatte, war laut Erlass des k.k. Ministeriums für Cultus und Unterricht vom 28. August 1888 berechtigt, einen derartigen, besonders feierlichen Promotionsakt zu beantragen. Dabei liess sich der Kaiser in der Regel durch den Statthalter des betreffenden Kronlandes vertreten und dem neu kreierten Doktor einen Brillantring mit den kaiserlichen Initialen überreichen. Diese Ehre stand pro Jahr nur einem einzigen Studenten der Universität Innsbruck zu. Die auf diese Weise Promovierten erhielten im Bedarfsfall vergleichsweise einfach eine Audienz beim Staatsoberhaupt. «Der Ring ist heute im Besitz der Familie unseres Cousins. Es ist ein wunderschönes Stück. Tragen durften die Nachkommen diese Ringe am Finger aber natürlich nicht. Das war demjenigen vorbehalten, der ihn verliehen bekommen hat», sagt Marianne Marxer. Peer zog es trotz höchster Weihen zunächst zurück nach Feldkirch, wo er sich 1896 als Anwalt niederliess, bald Mitglied des Stadtrats war und im Jahr 1901 Bürgermeister sowie 1902 Abgeordneter im Vorarlberger Landtag wurde. Die Planung und Fertigstellung einer Reihe bedeutender Bauwerke, allen voran der städtischen Elektrizitätswerke, fällt in Peers bis 1910 dauernde Amtszeit. 1917 erhielt er die Berufung zum Rat des Verwaltungsgerichtshofs in Wien. Im Herbst 1918 soll Kaiser Karl I. sogar beabsichtigt haben, Josef Peer zum Justizminister zu ernennen. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie Anfang November erübrigte sich dies jedoch.
Die Sprache des Volkes gesprochen
In ein Regierungsamt sollte Peer es dennoch schaffen. Um das Ende des Ersten Weltkriegs neigte sich die Zeit der ausländischen Landesverweser in Liechtenstein ebenfalls dem Ende zu. Die neugegründeten Parteien forderten vehement, dass der Posten des Regierungschefs künftig mit Liechtensteiner Bürgern zu besetzen ist. Im Rahmen der Diskussionen um die neue Verfassung, die im Oktober 1921 schliesslich in Kraft trat, schien dem Fürsten jedoch eine Übergangslösung opportun. Seine Behörden in Wien holten Informationen über Josef Peer ein. Das Urteil fiel eindeutig aus: Er sei «persönlich von allergrösster Ehrenhaftigkeit», besitze «den besten Leumund» und werde «von massgebender Stelle in jeder Hinsicht als sehr befähigt geschildert». Peer erhielt von Fürst Johann II. die schwierigen Aufgaben, die Verfassungsrevision vorzubereiten und die Staatsfinanzen ins Lot zu bringen. Am 15. September 1920 setzte der Fürst ihn als «Leiter der Regierung» ein, befristet auf ein halbes Jahr. Nach Ablauf dieser sechs Monate kam es zu heftigen Auseinandersetzungen, ob Peer weiter im Amt bleiben solle oder nicht. Während die FBP ihm das volle Vertrauen aussprach und sich für seinen Verbleib einsetzte, beharrte die Volkspartei auf der Abmachung und forderte die Neubesetzung des Postens des Regierungschefs. Eine vom Landtag angesetzte Volksabstimmung führte zwar zum Resultat, dass 61,8 Prozent der Stimmberechtigten sich für Peer aussprachen, dieser stellte sich aber nicht mehr zur Verfügung. Peer ging zurück nach Wien an den Verwaltungsgerichtshof, wo er bis zu seinem Tod, nur vier Jahre später, beschäftigt blieb. Auch bei seiner Demission als Regierungschef bewies Josef Peer also «allergösste Ehrhaftigkeit». Selbst wenn er das Amt vielleicht gerne länger ausgeübt hätte. Marianne Marxer berichtet: «Mein Grossvater hatte Wurzeln in Liechtenstein und sprach aufgrund seiner Volksschulzeit in Schaan auch den Dialekt der Menschen im Land. Es war jedoch nach 1921 einfach so, dass nur ein gebürtiger Liechtensteiner den Posten besetzen konnte.»
Fotos: Privatarchiv Marianne Marxer