Wie ein Schulhaus zum Rathaus wurde
Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren in Schaan nur wenige Einwohner des Lesens und Schreibens mächtig. Die mehrheitlich arme Bevölkerung konnte sich keinen privaten Unterricht leisten. Ein Gemeindevorsteher legte 1808 gar sein Amt mit der Begründung nieder, nicht lesen, schreiben und rechnen zu können. Doch zu dieser Zeit besserten sich die Verhältnisse bereits. Wenn auch langsam.
Mit seiner ersten Amtshandlung verordnete Fürst Johann I. im Jahr 1805 in Liechtenstein die Schulpflicht für die 7- bis 13-jährigen Kinder. Ein Erlass der fürstlichen Hofkanzlei in Wien forderte die Gemeinden noch im selben Jahr auf, Schulhäuser zu bauen. Die Schaaner Entscheidungsträger versprachen, ihre Pflicht zu erfüllen. Doch wie der enttäuschte Landvogt Franz-Xaver Menzinger feststellen musste, verzögerten diese den Schulhausbau so lange wie möglich, denn die Schulpflicht war unbeliebt. In vielen Familien mussten die Kinder schon sehr früh zum Einkommen beitragen. Der Schulbesuch wurde daher in weiten Teilen der Bevölkerung als unnötig erachtet. Hinzu kamen die Kosten, die ein Schulhaus unweigerlich mit sich brachte.
Kaufhaus wird zum Schulhaus
Dennoch kam die Gemeinde Schaan ihrer gesetzlichen Pflicht im Jahr 1809 nach – zumindest in gewisser Weise. Am Standort der heutigen Zoschg-Überbauung befand sich damals ein Kaufhaus, dessen obere Etage zu einer Schule umgebaut wurde. Doch schon wenige Jahrzehnte später ermahnte das Oberamt in Vaduz die Gemeinde, dass das Haus, in dem es nur ein Klassenzimmer gab, einem geordneten Schulbetrieb nicht mehr genüge.
Im Dezember 1838 berichtete der Schaaner Pfarrer und Landesvikar Jakob Anton Carigiet in einem Schreiben an Landvogt Johann Michael Menzinger, den Sohn von Franz-Xaver Menzinger, vom desolaten Zustand des Schulhauses. Er bat darum, den Baumeisters Josef Anton Seger aus Vaduz mit dem Bau eines neuen Schulhauses mit zwei Klassenzimmern beauftragen zu dürfen. Die Bittschrift stiess beim Oberamt in Vaduz auf offene Ohren. Denn dieses war schon länger bemüht, die Gemeinde zu einer Verbesserung ihrer Schulinfrastruktur zu bewegen. Menzinger beauftragte Seger, gemeinsam mit Pfarrer Carigiet einen Plan für den Schulhausbau inklusive einer Lehrerwohnung zu entwerfen. Zudem wurde die Gemeinde vom Oberamt aufgefordert, das nötige Baumaterial bereitzustellen und sich um einen Bauplatz zu bemühen.
Der Fürst entscheidet
Ein neues Schulhaus bauen zu müssen, stiess in Schaan aber nicht überall auf Gegenliebe. Angesichts der Kosten sprach sich die Mehrheit der Bürger für eine Sanierung des alten Gebäudes aus, während sich das Oberamt weiterhin für einen Neubau einsetzte.
Im Januar 1842 bat Menzinger in einem Schreiben an die Hofkanzlei um Bekanntgabe des Entschlusses bezüglich des vom Oberamt beantragten Schulneubaus. Er führte aus, dass diesem die höchste Priorität beigemessen werden müsse. Da in Schaan kein Gemeindezimmer und kein Dokumentenarchiv vorhanden waren, schlug er weiter vor, im Erdgeschoss eine Gemeindestube mit Aufbewahrungsraum für Requisiten, Gemeindeschriften und Wertgegenstände sowie ein Versammlungszimmer zu errichten. Bezüglich der Schule sollten zwei Klassenzimmer für 160 Schüler in zwei Abteilungen und je eine Wohnung für den Lehrer und den Hilfslehrer entstehen.
Fürst Alois II. folgte den Argumenten Menzingers und entschied sich schliesslich für einen Neubau am Standort des heutigen Rathauses. Das dortige Holzhaus sollte abgerissen und zur Minderung der Baukosten an den Meistbietenden versteigert werden. Laut Versteigerungsprotokoll vom 3. Dezember 1843 war das Interesse allerdings gering. Es boten nur zwei Personen mit, wobei Johann Schierscher schliesslich für 387 Gulden den Zuschlag erhielt. Kurz darauf liess dieser das alte Holzhaus auf seinem Grundstück an der Landstrasse in der Sax neu errichten und einen Stall anbauen.
Probleme mit dem Baumeister …
Das künftige Schulhaus sollte ein Stockwerk mehr erhalten als sein Vorgängerbau und in der Breite um drei Fenster erweitert werden. Die Arbeitsvergaben erfolgten öffentlich in Gasthäusern. Der jeweils Bestbietende erhielt in der Regel den Zuschlag. Doch schon vor der Grundsteinlegung gab es die ersten Probleme mit den Handwerkern. Den Zuschlag für die Steinbrecherarbeiten hatte Josef Konrad für seine Offerte von 3 Gulden und 20 Kreuzern pro Kubikklafter Steine erhalten. Im Februar 1843 schrieb Vorsteher Josef Frick aber an das Oberamt, dass Konrad unzuverlässig und unfähig sei. Man möge die Arbeit den Brüdern Jakob und Lorenz Hilti übergeben, welche bessere Fachleute und sehr fleissig seien. Landvogt Menzinger entschied im Sinne des Vorstehers und übertrug die Arbeiten fortan den Hiltis.
… mit dem Zimmermann …
Die Zimmermannsarbeiten wurden für 480 Gulden an den Schaaner Lorenz Risch vergeben, der selbst kein gelernter Zimmermann war. Vom Oberamt wurde Risch deshalb auferlegt, dass er einen Fachmann beiziehen und für diesen auch die Haftung übernehmen müsse. So schloss Risch eine entsprechende Vereinbarung mit Jakob Kindle. Jedoch bahnten sich schon bald die nächsten Probleme an. Ende März 1844 wurde Kindle von Landvogt Menzinger vorgeladen. Er hatte beim Schulhausbau die Termine nicht eingehalten. Es folgte ein mehrere Monate lang dauernder Disput. Letztlich scheint sich die Angelegenheit dann aber zum Guten gewendet zu haben, denn zu diesem Thema finden sich keine weiteren Akten im Landes- und Gemeindearchiv.
… und mit dem Schlosser
Auch bezüglich der Schlosserarbeiten gab es Probleme. Im November 1845 verlangte Gemeindevorsteher Wanger von Landvogt Menzinger die Exekution von Schlosser Christof Beck, der seinen vertraglichen Pflichten trotz mehrmaliger Ermahnung nicht nachgekommen sei und die Arbeiten nicht fertiggestellt habe. Eine Forderung, welcher das Oberamt nur einen Tag später mit der Einleitung der Exekution Folge leistete.
Doch trotz aller Schwierigkeiten schritt der Neubau voran. Bis zur Fertigstellung des Schulhauses wurden die Schaaner Schüler im Haus Nr. 37 an der Obergass und später im Haus Nr. 187 an der Feldkircher Strasse unterrichtet. Im Juni 1844 erging ein Bericht an die fürstliche Hofkanzlei, dass die Fundamente aufgerichtet seien und mit Eifer gearbeitet werde. Im Januar 1845 war das Schulhaus schliesslich bis auf die innere Verputzung und Einrichtung fertiggestellt, sodass es im Frühjahr 1846 bezogen werden konnte. Pfarrer Carigiet durfte nach gut zwei Jahren Bauzeit das prächtige, in klassizistischem Stil errichtete Gebäude einweihen.
Weitere Umbauten folgten zum Rathaus
Aufgrund des starken Bevölkerungswachstums wurde aber auch die neue Schule bald zu klein. Es folgten mehrere Umbauten, bevor 1975 die neue Schule in der Resch eröffnet wurde. Das Erdgeschoss der nun verlassenen Volksschule im Dorfzentrum wurde für die Gemeindeverwaltung umgebaut und 1976 bezogen. Das Obergeschoss wurde ebenfalls umgebaut und ab 1981 vermietet. Seit dem Umbau von 1994 steht der Gemeindeverwaltung das gesamte Rathaus zur Verfügung.
Quellen:
«Kaufhaus, Schulhaus und Rathaus», Gemeinde Schaan, Albert Eberle
«Schaaner Heimatbuch. Chronik der Volksschule Schaan», Jakob Falk
«Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein. Schulwesen», Annette Bleyle
Bildnachweis: Gemeindearchiv Schaan, Auftaktfoto: Schulhaus-Weihe nach der Erweiterung 1950