Als die Gemeinderäte zu Silvester als Glöckner fungierten
«Beim Läuten soll nicht nur gebimmelt werden, sondern er muss sorgen, dass die Glocken gehörig angezogen und dass gehörig und ordentlich geläutet werde», hiess es 1934 im Pflichtenheft des Mesmers der Pfarrkirche St. Laurentius. Mit gutem Beispiel voran gingen einmal jährlich zu Silvester die Gemeinderäte und liessen die damals knapp 5,3 Tonnen Metall selbst per Seilzug erklingen.
Der Brauch, dass die Gemeinderäte sich zu Silvester als Glöckner betätigen, hat seinen Ursprung wohl im Jahr 1891, der Zeit des Baus der neuen Pfarrkirche. Er wurde bis in die Amtszeit von Vorsteher Tobias Jehle (1942–1957) am Leben erhalten und sah so aus: Die letzte Gemeinderatssitzung des Jahres fand am Silvesterabend statt. Kurz nach 23 Uhr begaben sich die Gemeinderäte in die Kirche und beteten im Chor drei Vaterunser. Dann gingen sie zu den Seilen der vier Glocken im Turm, wobei die grosse Glocke mit zwei Seilen bedient werden musste. Von 23.45 bis 0 Uhr läuteten die Gemeinderäte das alte Jahr aus. Nach dem mitternächtlichen Glockenschlag wurde das neue Jahr dann eine weitere Viertelstunde eingeläutet. Daraufhin folgten nochmals ein Gebet und der gemütliche Teil in der «Linde» oder im «Café Risch».
Es läutet zu allerhand Anlässen
Der Mesmer selbst hatte einiges mehr zu tun, wie sein Pflichtenheft zeigt: «Er läutet von Ostern bis Michaelitag [Anmerkung: 29. September] morgens halb 5 Uhr und in der übrigen Zeit morgens 5 Uhr, sowie täglich um 11 Uhr zum Engel des Herrn. Er läutet mit dreimaligen Pausen solange, dass man dabei andächtig je ein Ave-Maria beten kann. Das letzte Läuten soll etwas länger dauern, – das Betläuten an Weihnachten, Epiphanie, Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Laurentiustag, Mariae Himmelfahrt und an Kirchweih muss mit der grossen Glocke geschehen. An diesen Tagen wird auch das erste Läuten zum Gottesdienst mit der grossen Glocke geschehen. – Er läutet am Samstag und vor Feiertagen im Sommer abends 7 Uhr und im Winter abends 5 Uhr je 5 Minuten lang Feierabend. Je eine halbe Stunde vor Beginn der Gottesdienste läutet er 10 Minuten lang und je 5 Minuten vor Beginn der Gottesdienste je 3 Minuten lang.»
Auch zum Wettersegen gab der Mesmer ein kurzes Glockenzeichen. Bei drohendem Hagelwetter läutete er die Glocken zur Abwendung von Schaden. Während der Auferstehungsfeier läutete er den Ostertag ein, ebenso läutete er den weissen Sonntag am Samstag vorher, nachmittags um 15 Uhr feierlich ein. Am 30. April läutete er um 20 Uhr eine Viertelstunde lang den Mai ein. Bei Versehgängen zu Sterbenden gab er beim Weggehen von der Kirche ein kurzes Zeichen. War jemand in der Pfarrei gestorben, läutete der Mesmer bei männlichen Toten mit dreimaliger Pause, bei weiblichen Toten mit zweimaliger Pause eine Viertelstunde die Sterbeglocke. Bei Brandfällen oder Wassernot hatte er durch längeres Läuten auf die Gefahr aufmerksam zu machen und Hilfe herbeizurufen. Eine Stunde vor einer Beerdigung läutete er während einer Viertelstunde, wozu ihm die Familie, in der der Todesfall vorgekommen ist, vier Männer zum Läuten bereitstellen musste.
Die Glocken im Überblick
Eine leichte Arbeit war das Läuten für den Mesmer nicht. Die Glocken, die seit 1893 in der Pfarrkirche hingen, hatten ein Gewicht von 5250 Kilo. Es handelte sich um
- die Hl.-Laurentius-Glocke, 2300 Kilogramm, geweiht 1893, Inschrift in Latein: «In principio erat verbum et verbum caro factum est et habitavit in nobis.» Zu Deutsch: «Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.» Sie läutete am Samstag, Sonntag und Feiertagen eine halbe Stunde vor einer Messe.
- die Hl.-Josef-und-Christopherus-Glocke, 1350 Kilogramm, geweiht 1893, Inschrift: «A fulgure, grandine et tempestate libera nos Domine.» Zu Deutsch: «Vor Blitz, Hagel und Gewitter bewahre uns, o Herr.» Sie kam unter anderem zum Einsatz zum Angelus um 5.01 Uhr, 11.01 Uhr, 20.05 Uhr und auch zur Wandlung an den Sonn- und Feiertagen.
- die Hl.-Agatha-Glocke, 1000 Kilogramm, geweiht 1893, Inschrift: «Omnis sancti et sanctae Die incedite per nobis.» Zu Deutsch: «Alle Heiligen Gottes, bittet für uns.» Im Einsatz war sie eine halbe Stunde vor der Messe von Montag bis Samstagmorgen.
- die Hl.-Aloisius-Glocke, 600 Kilogramm, geweiht 1893, Inschrift in Latein: «Haurietis aquas in gaudio de fontibus salvatoris.» Zu Deutsch: «Schöpfet in Freude Wasser aus den Quellen unseres Erlösers.» Sie läutete während des Evangeliums und diente auch als Totenglocke.
1968 kamen dann zwei weitere Glocken dazu, die mit den vier älteren bis heute das Geläut der Pfarrkirche bilden:
- die Hl.-Paulus-Glocke, 5234 Kilogramm, geweiht 1968, Inschrift: «Jesus Christus gestern und heute, derselbe auch in Ewigkeit. Hebr. 13,8.»
- die Hl.-Johannes-Glocke, 429 Kilogramm, geweiht 1968, Inschrift: «Im Anfang war das Wort. Das Wort, es war bei Gott und dieses Wort war selber Gott. Joh 1,1.»
Die mittlerweile zusammen über 11'000 Kilo schweren Glocken müssen aber – zum Glück für die Mesmer und die Gemeinderäte – nicht mehr per Seilzug bedient werden, sondern verfügen seit Jahrzehnten über ein elektronisches Läutwerk.
Auftaktfoto: Die Pfarrkirche St. Laurentius um das Jahr 1900. (Gemeindearchiv Schaan)