Von der Villa Ruscheweyh zum Anwesen Steinegerta
Schon bald nach der Öffnung Liechtensteins als Wohnsitzland für vermögende Ausländer und der Erschliessung des Schaaner Villenviertels zog es eine Reihe wohlhabender Einwanderer ins Land. Zu diesen finanzkräftigen Immigranten zählte der Kaufmann und Waffenhändler Rudolf Ruscheweyh. Er fand Gefallen an einem Grundstück am Waldrand in der Flur Steinegerta.
Rudolf Ruscheweyh kam 1905 in Erfurt zur Welt. In den 1920er- und 1930er-Jahren arbeitete er in der Maschinenfabrik seines Vaters an Standorten in den Niederlanden und Frankreich. Ab 1936 lebte er dauerhaft in den Niederlanden und führte eine eigene Firma, war gleichzeitig aber auch als Agent für den deutschen Geheimdienst, die sogenannte Abwehr, tätig. Während des Zweiten Weltkriegs war er unter anderem Wirtschaftsberater des Heereswaffenamts und organisierte als Generalvertreter der schweizerischen Oerlikon-Bührle & Co. Waffenschiebereien im grossen Stil für das NS-Regime.
1944 setzte er sich mit einem Liechtensteiner Diplomatenpass nach Liechtenstein ab. Gegen den Protest der Schweizer Fremdenpolizei und trotz seines zweifelhaften Rufs wurde er von der Schaaner Bürgerversammlung am 2. Mai 1948 in den Bürgerverband aufgenommen. Das letzte Hindernis im streng katholischen Liechtenstein hatte er mit der Heirat seiner Lebensgefährtin Andrée beseitigt. Ruscheweyhs Einkaufssumme betrug 75'000 Franken und sollte für den Neubau des Schulhauses aufgewendet werden.
Französischer Baustil am Rand von Schaan
Doch schon vor 1948 hat Rudolf Ruscheweyh im grossen Stil in Schaan investiert. Ab 1942 hatte er sich mit dem Anwesen Steinegerta in der gleichnamigen Flur einen Landsitz erbauen lassen. Das Areal – gemäss der Übersetzung des Flurnamens überaus schlechtes Ackerland – wurde bis zum Ende des Ersten Weltkriegs vor allem für den Anbau von Kartoffeln genutzt. Dann wurde es in Weideland zurückverwandelt und selbst nach der Erschliessung des Villenviertels zunächst nicht genutzt – bis Ruscheweyh dessen Potenzial erkannte.
Auf der Parzelle im heutigen Villenviertel, die Ruscheweyh der Gemeinde Schaan für einige Tausend Franken abgekauft hatte, entstand in den Jahren 1942 und 1943 nach den Plänen der renommierten Zürcher Architekten Carl Lippert und Arnold von Waldkirch ein Gebäudekomplex nach dem Vorbild adliger Landgüter. Das damals Villa Ruscheweyh genannte Anwesen weist Elemente der konservativen deutschen Architektur wie der französischen herrschaftlichen Bauten des 18. und 19. Jahrhunderts auf. Die Verkleidung der Fassade mit hellem Kalkstein und der barocke Innenausbau in Eiche lassen den Bezug zu Frankreich erkennen, wo sich der Bauherr längere Zeit aufgehalten und seine spätere Ehefrau kennengelernt hatte. Der aus behauenem Sedimentgestein errichtete Komplex bestand aus drei Gebäuden: dem Wohnhaus, dem Verwalterhaus und dem Ökonomiegebäude. Sie rahmen bis heute den nach Norden offenen Hof mit repräsentativer Vorfahrt und zentralem Brunnen ein. Im Süden ist dem Hauptgebäude ein grossflächiger Garten im Stil eines englischen Parks vorgelagert, der seine Besucher bis heute in eine andere Welt versetzt.
Gemeinde Schaan ergreift die Initiative
1956, zwei Jahre nach Ruschweyhs Tod, ging das Anwesen Steinegerta in den Besitz des deutschen Bankiers Otto Stürken und seiner Gattin Ruth, verwitwete Braubach, über. 1981, zwei Jahre nachdem Otto Stürken verstorben war, erwarb es die Gemeinde Schaan. Dem vorausgegangen waren längere Diskussionen, auf die Gottlieb Hilti, damals Gemeinderat und Mitglied der Verhandlungsdelegation, in einem Vortrag im Jahr 2001 zurückblickte. «Im Gemeinderat war allen bewusst, dass die einmalige Chance, diese schmucke Liegenschaft zu erwerben, nicht zerredet werden darf – trotz des damals recht hohen Preises.» Am 27. August 1981 um 11 Uhr fanden die eigentlichen Kaufverhandlungen statt. «Ich erinnere mich noch sehr gut an diesen historischen Tag», sagte Gottlieb Hilti in seinem Referat. «Um 12.15 Uhr war dann der mündliche Kaufabschluss über die Liegenschaft […] mit Handschlag besiegelt.» Zusammen mit dem Zubehör wie Möbeln und anderem Inventar gingen die drei Gebäude und 3’654,3 Klafter Boden für 5’821’070 Franken in den Besitz der Gemeinde über. Diesen wegweisenden Entscheid sollten 1982 mit der Vermietung an das Dekanat Liechtenstein und später die Erwachsenenbildung schon die nächsten zukunftsweisenden Schritte folgen.
Die vorläufig letzten wegweisenden Entscheidungen in Bezug auf die Steinegerta fielen schliesslich 2018 und 2019 mit den Beschlüssen des Schaaner Gemeinderats, das Anwesen umfassend zu sanieren, es unter Denkmalschutz zu stellen und so den Bestand eines einzigartigen Stücks Schaner Dorfgeschichte sicherzustellen. Von 2020 bis Anfang 2023 waren die Sanierungsarbeiten an Gebäuden und Park, dem ersten und bisher einzigen Gartendenkmal Liechtensteins, im Gang. Am 18. Juni 2023 wurde das Ergebnis der Öffentlichkeit präsentiert.
Titelbild: Gemeindearchiv Schaan, BF 13/634, Fotograf: Karl Steiger, Schaan
Literatur:
- Pepic-Hilbe Eva: Stammbuch der Bürgerinnen und Bürger von Schaan vom Ende des 16. Jahrhunderts bis 2013. 5 Bände. Schaan, 2015. S. 978.
- Steinegerta. Umbau und Instandsetzung 2020–2022. Hrsg. Gemeinde Schaan. Schaan, 2023. S. 8–23.
- Bleyle, Annette: Erwachsenenbildung. In: Historisches Lexikon des Fürstentums Liechtenstein. Vaduz, Zürich, 2013. S. 188.