
«Fühle mich wie ein grosses Kind mit einem grossen Spielzeug»
Er ist ein echter Abenteurer, der alte Rüstwagen der Feuerwehr Schaan: Nachdem er Ende 2022 nach 30 Dienstjahren in Pension gehen durfte, reiste er von Zürich nach Holland und dann nach Belgien. Von dort aus rollte er aufs Schiff Richtung Halifax, um gemeinsam mit seinem neuen Besitzer und Freund Steve Baker ganz Kanada zu durchqueren. Eine verrückte Odysee mit Happy End.
Der Schaaner Feuerwehrkommandant Alex Steiger staunte nicht schlecht, als ihn Anfang November eine Mail aus Kanada erreichte. Der Wortlaut: «Ich schreibe Ihnen, um Ihnen ein Update über den Mercedes-Benz 1120AF zu geben, den Sie von 1992 bis 2022 im Einsatz hatten. Dieses Fahrzeug befindet sich jetzt in Kanada, wo ich mit ihm gerade 5350 Kilometer in fünfeinhalb Tagen von der Ostküste in den Westen gefahren bin. Cheers, Steve Baker.» Die Neugier war geweckt, und es entwickelt sich ein spannender Mailverkehr, der Alex Steiger auf die Spuren seines alten Dienstfahrzeugs führte.
Beim Kauf des neuen Rüstwagens für die Feuerwehr Schaan Ende 2022 wurde der alte Mercedes eingetauscht. Kommandant Alex Steiger und ein kleines Team der Feuerwehr Schaan fuhren das Fahrzeug damals höchstpersönlich zum Händler nach Zürich. «Wir waren mit 90 Kilometer pro Stunde auf der Autobahn unterwegs», erinnert sich der stellvertretende Feuerwehrkommandant Mario Franceschini, der das Lenkrad in der Hand hatte. «Vielleicht wären auch mehr drin gelegen, aber das wagte ich nicht auszutesten. Der Rüstwagen hatte ja doch schon einige Jahre auf dem Buckel.» Gemäss der Weisheit «Aus den Augen, aus dem Sinn» versiegten anschliessend die Informationen über den weiteren Verbleib des Mercedes – bis der in Kanada lebende gebürtige Brite Steve Baker Licht ins Dunkel brachte.
Wer eine Reise tut …
… kann viel erzählen. Könnte der Rüstwagen sprechen, wäre sein Redeschwall wohl kaum zu stoppen. Denn erlebt hat er so einiges. Von Zürich reiste der Wagen Richtung Norden zu seinem nächsten Bestimmungsort, wo es zum ersten Berührungspunkt mit Steve Baker kam: «Ich habe den Mercedes online bei einem holländischen Verkäufer entdeckt, der mit gebrauchten Feuerwehrautos handelt.» Es war Liebe auf den ersten Blick, und der Wahl-Kanadier musste nicht lange überlegen. Genau dieser Mercedes sollte sein treuer Begleiter werden, und der Transport in die neue Heimat wurde sogleich in die Wege geleitet. Von Holland wurde der Rüstwagen nach Belgien befördert, wo er auf ein Schiff geladen wurde und die lange Seereise Richtung Kanada antrat.
Am Hafen von Halifax angekommen, kam es dann endlich zum ersten Treffen der Online-Liebe, und der stolze Besitzer konnte seinem grossen Baby freudestrahlend über die Haube streicheln. Nun ging das eigentliche Abenteuer erst richtig los – gemeinsam mit Steve Bakers Vater, der extra dafür aus England angereist war: «Fünfeinhalb Tage sind wir täglich 1000 Kilometer quer durch das Land gefahren, bis wir zu Hause in British Columbia angekommen sind», erzählt Baker. «Dafür mussten wir viermal pro Tag Kraftstoff nachfüllen.» Die teils extremen Wetterverhältnisse hat das Feuerwehrfahrzeug dabei bravourös gemeistert. «Man merkt ganz deutlich, dass dieses Fahrzeug gehegt und gepflegt wurde. Es fühlt sich fast brandneu an.»
Dass das alte Rüstfahrzeug gut im Schuss ist, verwundert Kommandant Alex Steiger nicht. Es wurde regelmässig gewartet, und viele Kilometer legt ein Feuerwehrauto auch in 30 Jahren nicht zurück. Konkret zeigte die Anzeige beim Eintausch 15'500 Kilometer an. Umso erstaunlicher ist es für ihn, dass der Rüstwagen am Ende sogar Kontinente überwunden hat und mittlerweile 21'285 Kilometer auf dem Tacho hat: «Ich weiss, dass es eine Liebhaberszene gibt, die sich stets auf der Suche nach ausrangierten Feuerwehrautos befindet. Allein für dieses Fahrzeug hatte ich sechs Anfragen erhalten. Aber dass ein Schaaner Feuerwehrrüstwagen am Ende in Kanada landet, ist schon eine verrückte Sache. Schön, dass unser altes Fahrzeug noch solch eine spektakuläre Reise antreten durfte.»
Vom Feuerwehrfahrzeug zum Wohnmobil
Steve Baker ist jedenfalls hell begeistert von seinem neuen vierrädrigen Freund: «Es gibt noch so viel, was ich über das Feuerwehrfahrzeug lernen will. Bis jetzt habe ich zum Beispiel weder die Seilwinde noch den Generator benutzt.» Das möchte er unbedingt nachholen, und dafür liest er sich auf Fachseiten in die Funktionsweise von Rüstwagen ein. «Ich fühle mich wie ein grosses Kind mit einem grossen Spielzeug.»
Die Geschichte des Feuerwehrfahrzeugs soll aber nicht in British Columbia enden. Steve Baker hat noch Grosses mit seinem Mercedes vor: «Momentan geniesse ich das Fahrzeug erstmal genauso, wie es ist. Mein langfristiger Plan ist es aber, den Mercedes in ein Wohnmobil umzubauen und dann gemeinsam mit meiner Frau auf Reisen zu gehen. Wenn ich dann jemals damit durch Europa reise, werde ich auf jeden Fall bei der Feuerwehr Schaan vorbeischauen.»
Auf dieses Wiedersehen freuen wir uns jetzt schon. Bis dahin wünschen wir Steve Baker weiterhin viel Freude an seinem Feuerwehr-Rüstwagen und eine unfallfreie Fahrt!
Fotos: Steve Baker (Auftaktfoto mit seinem Vater während ihrer Reise durch Kanada), Freiwillige Feuerwehr Schaan