«Es war ein Gänsehautmoment»
Seit 1994 ist kein Athlet mehr für Liechtenstein an den paralympischen Winterspielen angetreten. Das ändert sich in diesem Jahr mit Sarah Hundert. Die Schaaner Monoskifahrerin vertritt unser Land in den Disziplinen Riesenslalom und Slalom. Im Interview direkt aus dem Olympischen Dorf erzählt sie von ihren Eindrücken vor Ort.
Vergangenen Freitag durftest du bei der Eröffnungszeremonie der Paralympischen Winterspiele die Fahne ins Stadion tragen. Was war das für ein Gefühl?
Es war ein überwältigendes Gefühl, das ich kaum in Worte fassen kann. Da sich unser Olympisches Dorf rund eineinhalb Stunden entfernt ausserhalb im Stadtbezirk Yanqing befindet, war es das erste Mal, dass ich das Stadion von innen gesehen habe. Der Moment, als mir bewusst wurde, dass ich die Fahne meines Landes in diese unglaubliche Arena trage, fühlte sich unwirklich an. Am Anfang dachten wir alle, dass wir in ein leeres Stadion kommen würden – aber die Tribünen waren zur Hälfte besetzt und die Menschen jubelten. Sehr ergreifend waren auch die Begrüssungsreden, insbesondere jene des Paralympics-Präsidenten Andrew Parsons. Auch wenn er den Krieg in der Ukraine nicht beim Namen genannt hat, wussten wir alle, dass er sich in seiner leidenschaftlichen Friedensbotschaft an die Welt genau auf diesen bezog. Es war ein Gänsehautmoment. Ich glaube, wirklich realisieren werde ich das Ganze erst, wenn ich wieder zu Hause bin und die Eindrücke einige Zeit auf mich einwirken konnten.
Du bist die einzige Liechtensteiner Athletin vor Ort. Fühlt es sich einsam an oder findet man im Olympischen Dorf schnell Anschluss?
Einsam fühle ich mich nicht, da ich bereits viele Athletinnen und Athleten von früheren Rennen kenne. Zudem habe ich meinen Trainer und meine Physiotherapeutin bei mir, die mich ständig begleiten. Wenn man sich im Olympischen Dorf bewegt, kommt man schnell ins Gespräch. Auch trainiert man mit Sportlern aus verschiedenen Nationen zusammen. Es gibt jeweils drei Trainings-Slots und da werden die Athleten immer wieder gemischt. Für den Skiservice sowie einen allfälligen Arztbedarf kann ich die Leistungen des deutschen Teams in Anspruch nehmen. Ich bin also gut aufgehoben. Ansonsten sitzt man Corona-bedingt aber sowieso nicht mit vielen Leuten zusammen.
Ist Corona in diesem Fall noch ein grosses Thema?
Auf die Schutzmassnahmen wird enorm viel Wert gelegt. Wir müssen uns täglich testen lassen und es herrscht Maskenpflicht. Auch beim Essen ist man durch Plexiglasscheiben von den Tischnachbarn getrennt. Teils werden sogar Gegenstände auf Viren überprüft. Offenbar ist dieses Schutzkonzept erfolgreich. In den drei Olympischen Dörfern werden täglich 25’000 Tests durchgeführt. Und seit Beginn der Spiele am 25. Februar wurden lediglich drei Corona-Fälle diagnostiziert.
Mit diesen strengen Massnahmen wirst du von Land und Leuten kaum etwas mitbekommen.
Vom Land sehe ich gar nichts. Im Olympischen Dorf ist man komplett von der Aussenwelt abgeschottet. Wir leben in einer Art paralympischer Blase. Allerdings muss ich sagen, dass die unzähligen chinesischen Helferinnen und Helfer enorm freundlich und zuvorkommend sind. Jede Mannschaft hat spezielle Betreuer, die ihr zugewiesen sind. Das sind chinesische Studenten, die rund um die Uhr für Fragen und organisatorische Angelegenheiten zur Verfügung stehen. Top organisiert und super nett. Von dem her habe ich einen wirklich guten Eindruck von den Menschen hier.
Wie sieht dein Tagesablauf aus?
Ich stehe um 7.30 Uhr auf. Nach dem Frühstück geht’s dann auf die Gondel, die uns ins Skigebiet bringt. Es dauert rund eine Stunde, bis wir auf der Piste sind und es wirklich losgehen kann. Nach zweieinhalb Stunden Training fahren wir runter zum Mittagessen. Und am Nachmittag stehen dann Physiotherapie, Schlafen und Entspannen an. Die Tage gehen extrem schnell vorbei – manchmal fast zu schnell.
Bist du zufrieden mit den Trainingsbedingungen?
Die Wettkampfstätte ist gigantisch. Es ist enorm beeindruckend, was hier aus dem Nichts aufgebaut worden ist. Die Liftanlagen sind super und die Bedingungen hervorragend – wenn auch sehr speziell. Das Wetter ist durchwegs schön, nur der Wind ist etwas heimtückisch und schwer einzuschätzen. Definitiv aussergewöhnlich ist allerdings der Kunstschnee. Dieser ist mit nichts zu vergleichen, was ich bisher kennengelernt habe. Man kann nicht generell sagen, ob er gut oder schlecht ist. Entweder kommt man mit diesem Schnee klar oder nicht.
Und kommst du mit dem Schnee klar?
Mittlerweile ziemlich gut. Aber ich brauchte ein paar Tage, um mich daran zu gewöhnen.
Am kommenden Freitag, 11. März, hast du beim Riesenslalom deinen ersten Einsatz. Am Sonntag folgt dann der Slalom-Wettkampf. Was für ein Ziel hast du vor Augen?
Mein einziges Ziel ist es, dass ich meine Trainingsleistung in den Wettkämpfen abrufen und den Rennhang bezwingen kann. Der ist nicht einfach – wir starten auf dem gleichen Hang wie die Fahrerinnen und Fahrer der Olympischen Spiele. Das Wichtigste ist für mich, dass ich Erfahrungen sammeln kann und so in vier Jahren perfekt vorbereitet bin, um für Liechtenstein eine Goldmedaille zu holen. (lacht)
Danke für das Gespräch! Die Gemeinde Schaan wünscht dir, liebe Sarah, viel Erfolg bei den paralympischen Spielen!