
«Die Woche an den Olympischen Spielen war die beste meines Lebens»
10'500 Sportlerinnen und Sportler vertraten vom 26. Juli bis zum 11. August 2024 die Farben ihrer Heimatländer an den Olympischen Spielen in Paris. Einer von ihnen war Romano Püntener aus Schaan, der einzige Vertreter Liechtensteins. Er ist im Mountainbike Cross-Country-Rennen angetreten und mit seinem Resultat sehr zufrieden. Im Blickpunkt-Interview schildert der Schaaner, welch harte Arbeit hinter seiner Karriere steckt und welche Ziele er sich für die Zukunft gesetzt hat.
Als Radsportler bist du bekannt, dass du eine Lehre als Fahrradmechaniker abgeschlossen hast, hat sich in der Schaaner Bevölkerung spätestens seit den Olympischen Spielen ebenfalls herumgesprochen. Wie aber sah dein Bildungsweg zuvor aus?
Romano Püntener: Nach der Primarschule in Schaan habe ich die Sportschule im Kloster St. Elisabeth besucht. Drei Jahre später habe ich ins Liechtensteinische Gymnasium gewechselt und weiterhin die Sportschule absolviert. Nach nochmals drei Jahren habe ich mich aber entschieden, eine Lehre als Fahrradmechaniker im Wenaweser Zweiradcenter im Pardiel zu beginnen, da sich Schulstoff und Sportkarriere trotz allen Entgegenkommens der Lehrer und der Schulleitung nicht mehr unter einen Hut bringen liessen. Die Ausbildung habe ich im Sommer abgeschlossen. Dass ich meine sportliche Karriere während der Lehre ungehindert weiterverfolgten konnte, verdanke ich insbesondere der grossartigen Unterstützung von Arthur Wenaweser und seinem Team. Ich durfte in einem reduzierten Pensum arbeiten, sodass ich mich stark auf Training und Wettkämpfe konzentrieren konnte. Auch die Berufsschule konnte ich gut bewältigen, da ich vieles vom behandelten Stoff schon im Gymnasium gelernt hatte.
Drehen wir die Zeit noch etwas weiter zurück: Wie hast du überhaupt zum Radfahren gefunden?
Als ich vier oder fünf Jahre alt war, waren meine Eltern der Ansicht, dass sie für mich einen Sport finden müssten, damit ich meine Energie loswerden konnte (schmunzelt). Ich wollte aber nicht Fussball spielen, wie es fast jeder meiner Jahrgänger gemacht hat. So habe ich ein Schnuppertraining beim Radfahrerverein Schaan absolviert. Zuerst hiess es, ich sei zu jung, um aktiv einzusteigen. Aber die Tochter des damaligen Cheftrainers war praktisch gleich alt wie ich und hat etwa gleichzeitig mit dem Training begonnen. So standen mir die Türen ebenfalls offen. Bald habe ich an ersten regionalen Wettkämpfen teilgenommen, dann an Rennen in der Ostschweiz, schliesslich an solchen mit Teilnehmern aus der ganzen Schweiz. Dank der Sportschule und meinem grossartigen Sportschultrainer konnte ich mich in dieser Zeit immer weiter steigern.
Wann hast du dich aufs Mountainbiken spezialisiert und was fasziniert dich an diesem Sport?
Ich bin von Anfang an Mountainbike gefahren und habe Cross-Country-Rennen bestritten. In der Sportschule war das Training zwar – gerade im Winter – auch sehr polysportiv ausgerichtet. Bergläufe und Trainings auf den Langlauf- oder Tourenskiern standen genauso auf dem Programm wie Einheiten auf dem Rennrad. Das war eine tolle Abwechslung. Auch heute trainiere ich noch sehr polysportiv. Aber das Mountainbiken war immer meine grösste Leidenschaft. Daran begeistert mich, dass ich ständig in der Natur sein und meine Passion mit Freunden teilen kann. Ich sehe die unterschiedlichsten und eindrücklichsten Orte auf verschiedenen Kontinenten. Aber vor allem auch Liechtenstein und die Region bieten optimale Bedingungen. Mit dem Rennrad bin ich auf den Bündner Pässen oder auf dem Rheindamm unterwegs, das Crosscountry-Training absolviere ich in unseren Bergen. Dort kann ich mich wunderbar konzentrieren und an meiner Technik sowie Kondition arbeiten. Ausserdem kann ich durch das Mountainbiken meinen erlernten Beruf als Fahrradmechaniker mit meinem aktuellen Beruf als Profisportler kombinieren. Die Mechanik der Bikes, die mittlerweile durch viel Elektronik ergänzt wird, fasziniert mich. Ich arbeite daher auch nach wie vor in einem 20-Prozent-Pensum im Zweiradcenter. Das ist ein schöner und perfekter Ausgleich zum Sport. Wir haben eine grossartige Stimmung mit Arthur und unter allen Mitarbeitenden. Ich mag den Kundenkontakt sehr gerne und liebe das Schrauben an den Rädern.
Deinen restlichen Lebensunterhalt verdienst du komplett als Profisportler?
Im Prinzip ja. Ich habe dabei das Glück, dass ich zu 50 Prozent als Leistungssportler beim Liechtenstein Olympic Committee, kurz LOC, angestellt bin. Von dort erhalte ich einerseits einen Lohn und bin andererseits auch versichert. Das gibt Sicherheit und Stabilität. Meine Gegenleistung sind möglichst gute Resultate im Sport, die mit einer Botschafterrolle für das Land einhergehen. Ausserdem darf ich das LOC in meiner Rolle als Leistungssportler auch an verschiedenen Anlässen wie zum Beispiel der Lihga repräsentieren
Um deine Resultate zu erreichen und deine Botschafterrolle optimal wahrnehmen zu können, musst du sicherlich, wie jeder Leistungssportler, hart trainieren. Auf wie viele Stunden kommst du in der Woche und wie ist dein Training aufgebaut?
Fünf bis sechs Einheiten pro Woche absolviere ich auf dem Rad, weitere zwei bis drei im Kraftraum. Zudem gehe ich joggen und mache im Winter die angesprochenen Bergläufe, Langlauftrainings oder Skitouren. Hinzu kommen Massage- und aktive Erholungseinheiten. So kommen 25 bis 30 Stunden zusammen.
Offensichtlich geht dieses Konzept angesichts deiner Erfolge bisher sehr gut auf. Welches waren für dich die wichtigsten Meilensteine in deiner Karriere?
Ich habe in den Jugendkategorien viermal die Gesamtwertung des Swiss Bike Cups gewonnen und wurde auch einmal Europameister in der Staffel. Im Juniorenweltcup habe ich mehrere Podestplätze erreicht. Bei den Junioren konnte ich zudem zweimal den 13. Platz an den Weltmeisterschaften herausfahren. Bei den Schweizer Meisterschaften bin ich einmal Dritter sowie einmal Vierter geworden. Besonders schöne Erlebnisse waren auch jeweils meine drei Siege beim Swiss Bike Cup in Schaan, dem Heimrennen.
Du sprichst den Weltcup an: Wie darf man sich diese Rennserie vorstellen?
Ich bin pro Jahr an 150 bis 200 Tagen hauptsächlich in der Schweiz und im übrigen Europa, aber vereinzelt auch in Nord- und Südamerika unterwegs. Das heisst für mich, dass ich nach den Trainingslagern im Frühling während der Monate Mai bis Oktober grösstenteils mit meinem Team, dem Schweizer Thömus Akros Youngstars Team, unterwegs bin. Wir kennen uns alle schon sehr lange, verstehen uns bestens und unterstützen einander. Das ist für mich von unschätzbarem Wert. Im vergangenen Jahr wurde die Weltcupsaison aber natürlich von den Olympischen Spielen in Paris unterbrochen.
Gutes Stichwort. Du durftest mit einer Wildcard starten. Was war das für ein Gefühl?
Ich habe im Dezember erfahren, dass das LOC beim Internationalen Olympischen Komitee zwei Wildcards für Liechtenstein beantragt hat – eine davon für mich. Damals habe ich aber noch nicht damit gerechnet, dass es wirklich funktioniert und ich das Land in Paris vertreten darf. Mitte Juni habe ich dann aber über das LOC und den Liechtensteiner Radfahrerverband erfahren, dass ich bei den Olympischen Spielen starten kann. Ich habe ein paar Tage gebraucht, um zu verstehen, was das bedeutete. Ich hatte etwas erreicht, von dem ich mein ganzes Leben geträumt hatte. Dass ich Liechtenstein an diesen Spielen vertreten durfte, hat mich stolz gemacht. Mir ist aber auch die damit verbundene Verantwortung bewusst geworden.
Wie hast du die Zeit in Paris schliesslich erlebt?
Es war die beste Woche meines Lebens (lächelt). Schon die Eröffnungsfeier war ein unglaubliches Erlebnis, und die Gespräche und Treffen im Olympischen Dorf waren unvergleichlich. Das dritte Highlight war dann selbstverständlich das Rennen selbst. Es hat alles zusammengepasst, und ich konnte am Tag X abrufen, was ich mir als hohes Ziel gesteckt hatte. Am Ende bin ich auf den 28. Platz bei 36 Teilnehmern gefahren. Das klingt im ersten Moment nicht besonders eindrücklich. Aber ich bin definitiv noch nicht der 28. in der Weltrangliste und konnte Fahrer hinter mir lassen, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich sie distanzieren würde. Ich war der jüngste Fahrer im Starterfeld und auf Basis der Weltrangliste auch klar der schwächste. So ist mir an diesem besagten Tag X mein bisher bestes Rennen gelungen. Grossartig war auch die Stimmung der 15000 Zuschauer während des Rennens. Alle feuerten einen an. An der Strecke standen zudem Fans, die extra für mich aus Liechtenstein angereist waren, aber auch viele Schweizer, die ich von meinen vielen Rennen in der Schweiz sehr gut kenne. Das hat mich extrem motiviert, um immer noch mehr zu geben.
Ein grosses Karriereziel hast du also bereits erreicht. Welches sind deine weiteren sportlichen Ziele?
Über den Winter möchte ich mir die Grundlagen für eine weitere gute Saison erarbeiten. Ich darf noch zwei Jahre in der Kategorie U23 fahren, bevor ich in der Eliteklasse starte. In dieser Zeit will ich mich physisch nochmals steigern und einen grossen Schritt nach vorne machen, Erfahrung sammeln sowie im Weltcup weiter nach vorne kommen und Topplatzierungen einfahren. Eines meiner Fernziele sind natürlich auch die Olympischen Spiele in Los Angeles 2028. Dann bin ich vier Jahre älter als in Paris, stärker und schneller. Wie weit vorne ich mitfahren kann, ist aber schwer zu sagen. Ich bin dann 24 Jahre alt. Einzelne sind in diesem Alter schon in der Weltspitze, die meisten schliessen aber später ganz nach vorne auf. Daher ist insbesondere die direkte Qualifikation für die Olympischen Spiele 2028 mein nächstes Fernziel.
Du stehst, wie du sagst, noch ganz am Anfang deiner Profilaufbahn. Machst du dir dennoch Gedanken, was nach dem Mountainbiken beruflich kommen soll?
Eigentlich nicht. Natürlich sind da Gedanken im Hinterkopf. Aber die sind nicht sehr konkret. Möglich wäre vielleicht eine zweite Karriere als Trainer. Am schönsten wäre es aber, wenn ich mich bis dahin als Marke so präsentieren könnte, dass ich mich selbst vermarkten kann. Doch wie gesagt: Das liegt noch in weiter Ferne – und ich lebe lieber in der Gegenwart.
Dass der Sport dein Leben dominiert, ist unschwer feststellbar. Manchmal musst aber vermutlich selbst du abschalten. Wie machst du das und wie gestaltest du deine Freizeit?
Das muss ich zuerst noch herausfinden (schmunzelt). Jetzt, da ich die Lehre abgeschlossen habe und der Sport mein Beruf ist, habe ich mehr Erholungszeit als zuvor. Die freien Abende, an denen ich nicht lernen oder Trainingseinheiten nachholen muss, sind häufiger geworden. Es ist aber nicht so, dass ich ein Hobby hätte, das viel Zeit in Anspruch nimmt. Doch das kann sich noch ändern. Wobei die Auswahlmöglichkeiten eingeschränkt sind. Denn ich bin ja einen grossen Teil des Jahres an den Austragungsorten der Weltcuprennen, der nationalen Rennen in der Schweiz und in Trainingslagern unterwegs. Glücklicherweise bin ich gerne auf Reisen und mit meinen Teamkollegen zusammen. Noch lieber komme ich dann aber wieder nach Hause zu meiner Familie. für mich nach wie vor am schönsten.
Foto: Brigitt Risch