
«Unsere betreuten Mitarbeitenden freuen sich total auf den Umzug»
2022 fanden in Schaan Spatenstiche für zwei Grossprojekte des Heilpädagogischen Zentrums statt: für den Neubau der Werkstätte Protekta, die von Mauren nach Schaan zieht, und für das neue Seniorenwohnhaus Rietle, welches das heutige Wohnheim Besch Senioren Plus ersetzt. Geschäftsführer Christian Hausmann erklärt im Interview, wie wichtig diese Bauprojekte für die Zukunft des hpz sind und warum sein Engagement für die betreuten Menschen mehr Herzensangelegenheit als Arbeit ist.
Ist es Zufall, dass beide Neubauten des hpz in der Gemeinde Schaan entstehen, oder war die Gemeinde ein zentrales Kriterium bei der Suche nach Bauland?
Schaan ist unser Geburtsort, dort wurde 1968 das Heilpädagogische Zentrum gemeinsam mit der Schule gebaut. In Schaan schlägt unser Herz. Deshalb war es uns schon ein Anliegen, zuerst in dieser Gemeinde nach geeigneten Bauplätzen zu suchen, bevor wir unseren Blick weiterschweifen lassen. Dank des grossen Entgegenkommens der Gemeinde ist dieser Plan perfekt aufgegangen. Den Neubau der Werkstätte Protekta baut eine Schaaner Familienstiftung. Ihr war der Standort Schaan von Anfang an wichtig. Die Gemeinde hat ihr dann ein super Verkaufsangebot für ein Grundstück an einer Top-Lage, direkt an der Feldkircher Strasse, gemacht. Ein grosses Glück. Das zweite Projekt, das Wohnheim Rietle, wird von der Fürstin Gina von Liechtenstein Stiftung gebaut und von gemeinnützigen Stiftungen finanziert. Als es konkret wurde, ging ich auf Gemeindevorsteher Daniel Hilti zu und fragte nach Boden im Baurecht. Und innert kürzester Zeit hat uns die Gemeinde zwei perfekt geeignete Parzellen angeboten. Wir haben einen Überbauungsplan erstellt, der dann vom Gemeinderat einstimmig angenommen wurde. Dieses Entgegenkommen der Gemeinde hat uns extrem gefreut. Denn so konnten wir schnell mit der Projektrealisierung beginnen. Läuft alles nach Plan, werden die Protekta und das Wohnhaus Rietle noch Ende Jahr fertiggestellt und bezugsbereit sein.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Wohnhauses Besch Senioren Plus bleiben auch nach dem Umzug in Schaan. Also müssen sie sich an keine neue Gemeinde gewöhnen. Wie haben es die Mitarbeitenden der Protekta aufgenommen, dass sie künftig nicht mehr in Mauren, sondern in Schaan zur Arbeit gehen werden?
Sie freuen sich total. Bereits am Anfang der Bauphase haben wir die betreuten Mitarbeitenden auf die Baustelle mitgenommen. Dort durften sie auch mal den Kran bedienen und sich alles anschauen. Sie hatten eine riesen Gaudi. Die Stimmung in Bezug auf den Umzug ist durchwegs euphorisch.
Dass gleich zwei grosse Bauprojekte umgesetzt werden, deutet darauf hin, dass der Platzbedarf für Menschen mit besonderen Bedürfnissen steigt. Täuscht dieser Eindruck oder nimmt die Anzahl an Personen mit kognitiven, psychischen und Mehrfachbehinderungen zu?
Der Eindruck entspricht der Realität. Die demografische Entwicklung zeigt, dass die Menschen immer länger leben. In den westlichen Ländern haben ein bis zwei Prozent der Bevölkerung eine geistige Behinderung oder kognitive Einschränkung. Umgerechnet auf Liechtenstein sind das 400 bis 800 Personen – und sie haben die gleiche Lebenserwartung wie «gesunde» Menschen. Früher war das anders, als behinderte Menschen nicht die geeignete Förderung und Pflege erhielten und teils auch abgeschoben wurden. Aber das hat sich glücklicherweise mit dem medizinischen und pflegerischen Fortschritt geändert. Heute wissen wir ziemlich genau, wie viele Personen in Liechtenstein eine geistige Behinderung haben, älter als 60 Jahre sind und aller Voraussicht nach noch bei ihren Eltern wohnen – also bei Menschen, die mindestens 80 Jahre alt sind. Es ist folglich absehbar, dass in den kommenden Jahren ein grosser Aufnahmedruck auf unsere Wohnhäuser zukommen wird. Deshalb sind wir ausserordentlich froh, dass wir das Wohnheim Rietle bauen können. Während heute im Wohnhaus Besch 13 Seniorinnen und Senioren mit einer geistig- körperlichen Behinderung beheimatet sind, können wir im Rietle 24 Wohnplätze anbieten.
Wovon können die Bewohnerinnen und Bewohner in den neuen Räumlichkeiten im Rietle noch profitieren – ausser von mehr Wohnplätzen?
Das «Rietle» ist so konzipiert, dass es im pflegerischen Bereich beste Rahmenbedingungen aufweist. Infrastruktur und Gesamtkonzept sind perfekt auf die Bedürfnisse von Menschen mit höherem Betreuungs- und Pflegebedarf zugeschnitten. Im Gegensatz zum heutigen Seniorenwohnheim Besch bringt das für die Bewohnerinnen und Bewohner viele Vorteile, denn aktuell sind sie in einem normalen Wohnblock untergebracht, der ursprünglich für gesunde Menschen konzipiert worden ist. Trotz baulichen Anpassungen gab es dort immer wieder das eine oder andere Hindernis zu überwinden. Nicht zuletzt befindet sich das neue Wohnhaus Rietle im Grünen, dennoch zentral gelegen und direkt an einer Bushaltestelle
Du sagst, dass die Räumlichkeiten im Wohnhaus Besch nicht auf die Bedürfnisse der Bewohnerinnen und Bewohner zugeschnitten sind. War dies auch bei der Werkstätte in Mauren der ausschlaggebende Grund für einen Neubau?
So ist es. Die Werkstätte Protekta ist aktuell in einem älteren Gebäude untergebracht, das als Industriebau konzipiert worden war. Es gibt zahlreiche Treppen und vieles entspricht nicht mehr den heutigen Anforderungen. Hätte sich nicht die Option eines Neubaus ergeben, wäre es notwendig gewesen, viel Geld für eine Renovation beziehungsweise einen Umbau in die Hand zu nehmen. Beim Neubau der Protekta in Schaan konnten wir unsere ganze Erfahrung einfliessen lassen und das Gebäude genauso planen, dass die Bedingungen optimal sind. In dieser Werkstätte arbeiten die Personen mit dem grössten Betreuungsaufwand – aber auch mit der grössten Herzlichkeit. Es reicht nicht, dass das Gebäude einfach nur rollstuhlgängig ist und behindertengerechte Nasszellen aufweist. Es braucht beispielsweise auch stimulationsarme Separationsräume, in denen die Menschen bei Bedarf die notwendige Ruhe finden. Ausserdem liegt das neue Gebäude aufgrund der Anbindung an den Öffentlichen Verkehr optimal.
Und wie viele Menschen werden dort arbeiten?
Ausgelegt ist die neue Protekta für rund 60 betreute Mitarbeitenden plus entsprechendes Fachpersonal. Zum Vergleich: Am jetzigen Standort arbeiten insgesamt etwa 50 betreute Mitarbeitende. Wir werden also künftig mehr Personen aufnehmen können, worüber ich mich sehr freue. Denn auch die Nachfrage nach Arbeitsplätzen im hpz steigt.
Der Bedarf nach Wohnplätzen und Arbeitsstellen beim hpz nimmt also zu. Ist dieser Trend auch im Schulbereich spürbar?
Wir spüren den Druck auf allen Ebenen. Zwar bleibt grundsätzlich die Anzahl der Kinder gleich, die mit einer geistigen Behinderung geboren werden. Aber die Kinder mit einem komplexeren Behinderungsgrad werden mehr. Eine Erklärung für diese Zunahme ist, dass diese heute aufgrund des medizinischen Fortschritts überleben können, was früher oft nicht der Fall war.
Zum Teil werden Kinder mit einer geistigen Behinderung aber auch in die Regelschule integriert …
… Richtig. Grundsätzlich gibt es in Liechtenstein zwei Schulmodelle für solche Kinder: Die Regierung beziehungsweise das Schulamt verfolgt das Inklusionsmodell. Dessen Ziel ist es, dass möglichst viele Sonderschülerinnen und -schüler die Regelschule besuchen. Auf der anderen Seite gibt es das Separationsmodell, welches das hpz umsetzt. Dabei werden die Sonderschüler in einer Einrichtung mit entsprechendem Therapieangebot gefördert. Die Entscheidung, ob das eigene Kind die Regelschule oder die Sonderschule besuchen soll, liegt bei den Eltern. Wie die Erfahrung der vergangenen Jahre zeigt, wechseln aber immer mehr Schülerinnen und Schüler von der Regelschule ins hpz. Einerseits, weil die Integration in eine normale Klasse nicht gut funktioniert. Gerade bei kleinen Kindern ist es oft schwer, Verständnis für das Anderssein zu schaffen. Zum anderen, weil Kinder mit Behinderungen im hpz gezielter gefördert werden können. Ursprünglich war unsere Schule im hpz für 80 Kinder ausgelegt. Mittlerweile haben wir 107 Schülerinnen und Schüler. Und bis 2030 rechnen wir mit 125 bis 130.
Das bedeutet, dass auch im Schulbereich Neubauten notwendig sind?
Das kann ich nur bejahen, aber dieser Entscheid liegt beim Land. Wir haben bereits einen Schulraumcontainer aufgestellt, um alle Klassen unterrichten zu können. Und voraussichtlich benötigen wir für das kommende Schuljahr einen zweiten. Die Abklärungen mit der Gemeinde, wo dieser aufgestellt werden könnte, laufen bereits.
Wie verhält es sich eigentlich mit dem Fachpersonal im hpz – das ist ja bekanntlich überall knapp.
Das ist tatsächlich eine unserer grössten Herausforderungen. Aktuell haben wir 261 Fachangestellte. Mehr als ein Drittel davon wird in den nächsten fünf Jahren pensioniert – und es kommen nicht so viele junge Fachleute nach. Gleichzeitig nimmt die Anzahl der zu betreuenden Personen zu. Wir sind extrem gefordert, irgendetwas dagegen zu unternehmen. Auf Social Media präsentieren wir uns aktuell mit coolen Beiträgen und Stelleninseraten als tollen und innovativen Arbeitgeber. Ich hoffe, das hat einen positiven Effekt.
Das hpz bereichert die Gemeinde Schaan in vielerlei Hinsicht. Wie erlebst du die Akzeptanz in der Bevölkerung?
Unsere Leute werden überall unglaublich herzlich empfangen. Ich war mal zufällig in einem Restaurant, in dem auch eine Gruppe unserer Werksmitarbeitenden gegessen hat. Die Stammtischbesucher riefen der Bedienung sofort zu, dass sie alle Kosten von unseren Leuten übernehmen würden. Oder auch, wenn wir von der Agra aus jemandem Holz liefern, werden die Mitarbeitenden nicht selten mit einem Trinkgeld für ihren Einsatz belohnt. Das ist wirklich schön mitanzusehen.
2019 hast du die Stelle als Geschäftsführer beim hpz angetreten und deinem Leben nach rund zehn Jahren als Leiter des Amts für Volkswirtschaft eine neue Richtung gegeben. Wie würdest du diesen Schritt rückblickend beurteilen?
Ich hätte ihn schon vor 20 Jahren machen sollen. (lacht) Nach zehn Jahren als Amtsleiter – mit noch zehn Jahren vor mir – war ich damals an einem Punkt, an dem ich über eine Änderung in meinem Leben nachgedacht habe. Da sprang mir das hpz-Inserat ins Auge. Der Titel: «Mit Herz und Verstand». Ich stöberte auf der Website und wurde mir erst so richtig bewusst, um was für ein grosses Unternehmen es sich beim hpz überhaupt handelt. Das ist Management pur, und ich bin Unternehmer. Strategien entwickeln und selbst Entscheide treffen liegt mir. Ich habe den Schritt nie bereut. Meine Arbeit macht mir enormen Spass, und ich konnte bereits einiges anstossen – vom Neuauftritt des hpz bis hin zu den Neubauten.
Hast du in deiner Position auch direkten Kontakt zu den betreuten Menschen?
Der findet täglich statt, und er beschert mir unglaublich viele kleine, herzige und herzliche Erlebnisse. Zum Beispiel, wenn mich eine betreute Person sieht, auf mich zukommt und einfach in den Arm nimmt und drückt. Oder die kleinen Kinder, die mich mit ihren grossen Augen anschauen und dann grinsen. Da braucht es keine Worte. Diese pure Ehrlichkeit öffnet mir jedes Mal das Herz. Seit ich beim hpz arbeite, stehe ich am Morgen anders auf und freue mich auf die Arbeit. Jede Überstunde mache ich gern. Denn ich weiss, meine Arbeit lohnt sich, und alles, was ich erreiche, erreiche ich für die richtigen Menschen.
Foto: Brigitt Risch