
Serie Waldgeflüster: Der Fuchs – grösster Schlaumeier unter den Tieren
Schlau wie ein Fuchs, heisst es – und das aus gutem Grund: Kein anderes Raubtier hat sich auf der Erde so erfolgreich breitgemacht, wie der puschelige Rotpelz. Im Interview erzählt er uns, wie ihm seine Intelligenz hilft, Strategien zu entwickeln, um sich der Umwelt immer wieder neu anzupassen.
Falls jemand noch nie einem Fuchs begegnet ist, wie würdest du dich beschreiben?
Weil ich gerne Mäuse, Vögel und anderes Kleingetier esse, bin ich ein Raubtier – genau wie der Hund und der Wolf, die übrigens meine nächsten Verwandten sind. Hunde sehen mir auch recht ähnlich, selbst wenn die wenigsten von ihnen ein so schönes rotes Fell haben wie ich. Ausserdem ist mein Körper viel länger und meine Beine sind kürzer. Normalerweise werde ich bis 90 Zentimeter lang und 40 Zentimeter hoch. Die Waage zeigt bei mir bis zu sieben Kilogramm Gewicht an. Und das Beste kommt am Schluss – nämlich mein buschiger Schwanz, der stolze 40 Zentimeter lang werden kann.
Man sagt ja, du bist sehr schlau! Stimmt das überhaupt?
Das ist fast schon eine freche Frage. Natürlich stimmt das. Ich bin das allerschlauste Tier auf der Welt – oder zumindest gehöre ich zu den schlausten. Ein Beispiel gefällig? Wenn ich auf einem Feld Krähen sehe, dann nähere ich mich unauffällig, falle um und stelle mich tot. Sobald die Krähen kommen, um an mir herumzupicken, ein Schnapp – und schon habe ich mir ein leckeres Mittagessen ergaunert. Raffiniert, oder? Meine Intelligenz ist mein Erfolgsgeheimnis, denn ich lerne blitzschnell, kann Zusammenhänge erfassen und mein Wissen anschliessend für die Entwicklung von Strategien nutzen, die mich in der sich ständig ändernden Welt überleben lassen. Deshalb gehöre ich zu den Siegern unter den Säugetieren. Ob im kalten Alaska oder in der Hitze Nordafrikas – mich trifft man überall. Von allen Raubtieren habe ich weltweit das grösste Verbreitungsgebiet. Im Gegensatz zu vielen meiner tierischen Kollegen gefällt es mir auch sehr gut in der Nähe von euch Menschen.
Woher kommt das, dass du die Nähe der Menschen magst? Die meisten Wildtiere meiden uns.
Das liegt an meiner enormen Anpassungsfähigkeit. Ich bin ein Generalist. Das bedeutet, dass ich nicht auf eine bestimmte Lebensweise oder Nahrung spezialisiert bin, sondern mich flexibel auf die unterschiedlichsten Umstände einstellen kann – eben auch auf das Dorfleben. Natürlich ist dabei wieder meine Cleverness der Schlüsselfaktor. Dank ihr habe ich gelernt, wie man in der sibirischen Tundra Lemminge überlistet, in Grossstädten gefahrlos durch die Strassen zieht oder in Schaan den Bauern Hühner klaut. Die Nähe zu euch Menschen bringt viele Vorteile mit sich – insbesondere, was das Nahrungsangebot betrifft. Und ihr Menschen seid uns dabei zum Glück sehr behilflich. Wenn ihr gut riechende Abfallsäcke an den Strassenrand oder Katzenfutter auf den Balkon stellt oder einen leckeren Komposthaufen im Garten unterhaltet, ist das für mich wie eine Essenseinladung. Gerade im kalten Winter ist es doch viel bequemer, zwischen Häusern nach Essen zu suchen, als auf dem gefrorenen Boden ewig lange auf eine Maus zu warten. Selbst wenn ich diese bis auf 100 Meter Entfernung hören kann, ist die Jagd nach Mäusen in der kalten Jahreszeit kein Vergnügen. Da fällt die Nahrungssuche als Stadt- oder Dorffuchs doch um einiges leichter. Deshalb ist es auch nicht so – wie viele Menschen noch fälschlicherweise annehmen –, dass zutrauliche Füchse krank sind. Wir sind einfach nur neugierig und haben über die Jahre die Scheu verloren. Aber solange ihr eure Hühner gut einzäunt und uns nicht die Schuhe zum Spielen vor die Haustüre stellt – da können wir nicht widerstehen – sind wir doch eigentlich ganz friedliche Nachbarn.
Herr Fuchs, wie läuft es denn eigentlich mit der Damenwelt?
Vielleicht überrascht es euch, aber ich bin ein recht treuer Genosse. Selbst wenn ich den Grossteil des Jahres als Einzelgänger unterwegs bin, treffe ich mich meistens mit derselben Partnerin, sobald die Paarungszeit im Januar und Februar beginnt. Und wenn nach zirka 50 Tagen Tragezeit unsere drei bis fünf Welpen im Fuchsbau geboren werden, versorgen wir sie als vorbildliche Eltern auch gemeinsam. In dieser Zeit bringe ich meiner Füchsin als treusorgender Ehemann die Nahrung in den Bau, während sie die Kleinen vier bis sechs Wochen säugt. Ab September, wenn die Jungfüchse das Revier verlassen und auf sich allein gestellt sind, geniesse ich dann auch wieder meine Freiheit … zumindest, bis zur nächsten Paarungszeit.
Grafik: Walser Grafik Est.