«Schaan hat es wirklich geschafft»
Als Liechtensteins Mann in Strassburg hat Botschafter Domenik Wanger stets genug zu tun. Der Europaratsvorsitz nimmt ihn derzeit aber noch stärker in Anspruch. Dennoch findet der 49-Jährige regelmässig die Zeit, seine Wochenenden in der Heimat zu verbringen, mit der ihn auch nach über 20 Jahren im diplomatischen Dienst viel verbindet.
Wie kam es, dass du dich für eine Karriere als Diplomat entschieden hast?
Domenik Wanger: Ich wollte nach meinem Studium der Rechtswissenschaften in Bern Erfahrungen im internationalen Bereich sammeln, Dabei hatte ich das Glück, dass Liechtenstein im Jahr 2005 erstmals am sogenannten JPO-Programm der Vereinten Nationen teilgenommen hat. Junge Universitätsabsolventen sind in dessen Rahmen bei der UNO angestellt, werden aber von ihrem Heimatland bezahlt. Ich habe mich also beworben und wurde tatsächlich ausgewählt. Die folgenden zwei Jahre habe ich beim Hochkommissariat für Flüchtlinge der Vereinten Nationen, besser bekannt als UNHCR, in Genf gearbeitet und internationale Luft geschnuppert. Als die beiden Jahre auf ihr Ende zugingen, habe ich dem damaligen Aussenminister Ernst Walch mitgeteilt, dass ich gerne noch das dritte Jahr dranhängen würde, aber dafür in ein Flüchtlingsgebiet gehen möchte. Ich dachte an ein westafrikanisches Land, da mein Französisch nach der Zeit in Genf natürlich recht gut war. Schliesslich wurde es aber Myanmar. Ich musste mich zuerst einmal näher über das mir ziemlich unbekannte Land informieren, habe aber gerne zugesagt und hatte eine in vielerlei Hinsicht herausfordernde, aber unglaublich spannende Zeit dort.
Was war deine Aufgabe?
Stationiert war ich an der Grenze zu Bangladesch in einem Gebiet, in dem die muslimischem Rohyngas leben, die vom buddhistischen Staatsapparat unterdrückt werden. Viele fliehen daher nach Bangladesch, wo sie in Flüchtlingslagern des UNHCR betreut werden, viele wollen aber auch wieder zurückkehren. Meine Aufgabe war es, die Rückkehrwilligen zu beraten, sie bei der Reintegration zu unterstützen und die Menschenrechtssituation im Auge zu behalten.
Wie ging es nach dem letzten Jahr des JPO-Programms für dich weiter?
Eine Verlängerung war nicht mehr möglich, das JPO-Programm endet nach längstens drei Jahren. Daher habe ich geplant, mich direkt bei der UNO zu bewerben. Gleichzeitig war aber in Liechtenstein eine Stelle im diplomatischen Dienst ausgeschrieben. Da im Amt für Auswärtige Angelegenheiten umgehend jemand benötigt wurde, habe ich mich beworben. In der Folge habe ich die Prüfung für den diplomatischen Dienst absolviert, bestanden und wurde eingestellt.
Eine Eigenheit des diplomatischen Dienstes ist es, dass man verhältnismässig viele Stationen durchläuft. Welche Positionen hast du in deiner Karriere bereits bekleidet?
Zuerst war ich einige Monate in Vaduz. Das ist eigentlich bei allen Jungdiplomaten so, damit sie mit dem Auswärtigen Amt zunächst einmal die Zentrale des diplomatischen Dienstes in Liechtenstein kennenlernen. Daraufhin habe ich im österreichischen Aussenministerium gearbeitet, da Österreich zu dieser Zeit den EU-Vorsitz innehatte und in dessen Vorfeld bei den Nachbarstaaten angefragt hat, ob sie bereit wären, Diplomaten als personelle Unterstützung abzustellen. So hatte ich die Chance, einen – aus Liechtensteiner Perspektive – grossen diplomatischen Apparat kennenzulernen. Dann war ich einige Monate an unserer Mission in New York und sollte anschliessend wieder in Vaduz arbeiten. Ich hatte schon eine Wohnung in Schaan gemietet und mich darauf eingestellt, einige Zeit im Land zu bleiben. Plötzlich ergab es sich aber, dass in der Liechtensteiner Botschaft in Österreich eine Stelle zu besetzen war. So zog ich nach Wien und war dort fünf Jahre lang der Stellvertreter der Botschafterin.
Wie darf man sich die Umstände eines solchen Umzugs vorstellen?
Für einen Diplomaten gibt es, abgesehen natürlich von der neuen Umgebung, keine grosse Umstellung. Wir sind nach wie vor in Liechtenstein versichert und erhalten unseren Lohn von der Landesverwaltung. Schwieriger war es für meinen heutigen Mann, mit dem ich damals gerade einige Monate zusammen war. Er hatte mir einmal gesagt, er käme mit, wenn ich im Ausland stationiert bin. Dass es aber so schnell gehen würde, haben wir beide nicht gedacht. Dennoch hat sich Thomas entschieden, mich zu belgeiten und in Wien eine Stelle zu suchen. Er hat sie auch schnell gefunden, und wir hatten eine grossartige Zeit in Wien. Als eine Stelle im Aussenministerium in Vaduz frei wurde, war es schliesslich sogar ich, der den Ausschlag gegeben hat, wieder nach Liechtenstein zu ziehen.
Ihr seid also zurück ins Land gekommen.
Genau. Ich war vier Jahre im Ministerium tätig und weitere drei Jahre als Stellvertreter von Botschafter Martin Frick, dem Leiter des Amts für Auswärtige Angelegenheiten. 2019 begann es sich abzuzeichnen, dass mein Vorgänger in Strassburg in Pension geht und die Stelle als Botschafter beim Europarat frei wird. Ich habe den Posten am 1. Mai 2020 angetreten, mitten in den sehr strengen Corona-Regeln, die das Elsass damals kannte. Man durfte beispielsweise höchstens eine Stunde pro Tag das Haus verlassen und sich nicht weiter als einen Kilometer davon entfernen.
Was sind in Strassburg deine Aufgaben?
Im Gegensatz zu den bilateralen Liechtensteiner Botschaften, wie jener in Bern zum Beispiel, sind wir in Strassburg nicht für die bilateralen Beziehungen mit Frankreich zuständig, sondern für jene mit einer multilateralen Organisation, dem Europarat. Ich darf Liechtenstein und seine Interessen also bei einer Organisation mit 46 Mitgliedsstaaten vertreten. Der Europarat geht auf eine Initiative der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs zurück, die ihn – damals natürlich noch mit deutlich weniger Mitgliedern – als Instrument zur Wahrung der Menschenrechte ins Leben gerufen haben. Heute sind alle europäischen Länder ausser Russland, Belarus und Kosovo im Europarat vertreten. Die Mitgliedsstaaten bekennen sich zu gemeinsamen Spielregeln, wozu, um ein Beispiel zu nennen, die Nichtanwendung der Todesstrafe gehört. Ausserdem geht es dem Europarat um die Weiterentwicklung der Menschenrechte. Denn diese bleiben nicht stehen, und entwickeln sich weiter.
Beispielsweise in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter und das Frauenstimmrecht, um ein Liechtensteiner Thema heranzuziehen?
Genau. Die Gleichstellung in der Adoption von Stiefkindern ist ein anderes, recht aktuelles Beispiel.
Was gefällt dir bis heute am diplomatischen Dienst und an deiner täglichen Arbeit?
Das hört sich jetzt nach einer Floskel an, aber es ist wirklich so: In erster Linie erfüllt es mich mit Stolz und Freude, mein Heimatland und seine Interessen vertreten zu dürfen. Liechtenstein hat im Europarat das gleiche Gewicht wie deutlich grössere Staaten. Das führt dazu, dass auch unsere Stimme gehört wird. Daneben machen mir das Netzwerken und der Kontakt mit den unterschiedlichsten Personen grossen Spass. Der soziale Umgang ist etwas vom Wichtigsten in der Diplomatie, und ich glaube, er liegt mir. Das kommt mir gerade jetzt im Rahmen des Europaratsvorsitzes zugute.
Gibt es auch weniger angenehme Momente in deinem Beruf?
Ich habe es nie bereut, dass ich in den diplomatischen Dienst eingetreten bin. Aber selbstverständlich gibt es Momente, in denen auch ich denke, dass es schön wäre, wie in vielen Bürojobs Feierabend machen und abschalten zu können. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ich einem anderen Botschafter eine für ihn unangenehme Entscheidung mitteilen muss. Aber diese Momente vergehen schnell wieder. Es gehört auch im Beruf des Diplomaten dazu, dass man es nicht immer allen recht machen kann.
Du hast den Europaratsvorsitz erwähnt, den Liechtenstein am 15. November 2023 übernommen hat. Er nimmt dich derzeit besonders in Anspruch. Was hat er an Aufgaben mit sich gebracht?
Da ist einerseits die Leitung des Ministerkomitees im Rahmen der Botschaftersitzungen, die jeden Mittwoch stattfinden und in denen die Staaten in teils strittigen Fragen versuchen, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Es ist unser Anspruch, dass diese Sitzungen so reibungslos wie möglich verlaufen. Daher fängt am Donnerstag bereits wieder die Vorbereitung auf den folgenden Mittwoch an. Hinzu kommen eine Reihe von Repräsentationsaufgaben und das Organisieren von hochrangigen Besuchen in Strassburg. Dazu muss ich aber sagen, dass Regierung und Landtag uns grossartig unterstützen. Unser sonst recht kleines Team ist für die Zeit des Vorsitzes deutlich verstärkt worden.
Weg vom Diplomatischen und hin zum Persönlichen: Dein Beruf bringt es mit sich, dass man sich die meiste Zeit im Ausland aufhält. Vermisst du ab und zu auch deine Heimat und deine Familie?
Natürlich. Ich habe aber das Glück, dass ich die diplomatische Aussenstelle leite, die nach Bern am nächsten an Liechtenstein liegt. Mein Mann und ich sehen uns eigentlich jedes Wochenende, abwechselnd in Strassburg und in unserer Wohnung in Vaduz beziehungsweise im Winter in Malbun, wo wir zusammen mit meiner Schwiegerfamilie sowie Tür an Tür mit meinem Bruder und seiner Familie leben. Das heisst auch, dass ich regelmässig in Liechtenstein bin. Während der Woche bin ich für gewöhnlich aber allein in Strassburg. Den Alltag gemeinsam leben können wir im Moment leider nicht. Und das fehlt uns manchmal schon.
Was verbindet dich neben deinem Mann und deiner Familie besonders mit deiner Heimat?
Ich bin in Schaan aufgewachsen, zur Schule gegangen, mein Elternhaus und meine Grosselternhäuser stehen in Schaan, und ich war auch während und nach dem Studium sehr oft und gerne zu Hause. Bis heute bin ich gerne in Schaan und sehr mit der Gemeinde verbunden, obwohl wir unseren Wohnsitz nun in Vaduz haben. Es freut mich dabei, quasi von aussen die Entwicklung beobachten zu dürfen, die Schaan genommen hat und bis heute nimmt. Es ist grossartig, wie sich das Zentrum weiterentwickelt und belebt hat und welche Angebote es in Schaan mittlerweile gibt – vom SAL über das Skino bis hin zur Gastronomie. Schaan hat es wirklich geschafft.
Wie sieht die Freizeit eines Botschafters aus? Bleibt noch Zeit für Hobbys?
Nicht viel. Wenn ich doch Zeit habe, verbringe ich sie während der Woche meist beim Sport. Ich bin früher Marathon gelaufen, auch den LGT-Alpinmarathon, und laufe heute noch gerne. Aber an die Zeiten von früher komme ich nicht mehr heran. Einerseits liegt es am Alter, andererseits auch daran, dass ich nicht mehr so verbissen bin. Im Winter verbringen wir die Wochenenden, wie gesagt, sehr gerne in Malbun. Ausserdem verreisen wir häufiger für kurze Zeit, aber auf eine etwas besondere Art. Als wir in Wien waren, haben wir uns einen Hund angeschafft. Da Flugreisen so kaum noch möglich waren, haben wir uns einen VW-Bus gekauft, mit dem wir die nähere und ferne Umgebung erkunden. Früher jene von Wien, heute zieht es uns von Strassburg meist weiter nach Frankreich hinein, oft an die Küstenregionen, weil Thomas Kitesurfer ist. Wir geniessen die Freiheit, Unabhängigkeit und Spontaneität, ganz ohne Anzug und Krawatte, dafür in Shorts und Flip-Flops. Das ist ein schönes Gegengewicht zu unserem jeweiligen Berufsalltag.